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Open Educational Resources (OER) – Zur Unschärfe eines florierenden Begriffs

Cover des 11. Hamburger eLearning-MagazinsDas Hamburger eLearning-Magazin widmete seine Dezember-Ausgabe 2013 dem Schwerpunktthema “Open Educational Resources”. Jöran durfte den einführenden Artikel schreiben. Seine These: Unter OER verstehen unterschiedliche Akteure unterschiedliche Dinge, die sich aber systematisch einordnen lassen.

Auf der Website des eLearning-Magazins kann man die komplette Ausgaben (pdf) herunterladen. Jörans Text folgt hier:


OER – Open Educational Resources – Zur Unschärfe eines florierenden Begriffs

von Jöran Muuß-Merholz im Herbst 2013

Nachdem die Debatte um Open Educational Resources (OER) fast zehn Jahre lang an Deutschland fast vollständig vorbei lief, hat der Begriff mittlerweile Hochkonjunktur. Alleine Mitte des Jahres 2013 erschienen zahlreiche Studien und Broschüren; in Berlin fand im September die erste OER-Konferenz statt.1 Die Quantität der Aktivitäten darf nicht darüber hinweg täuschen, dass bis heute kein gemeinsames Verständnis von OER existiert. Beim genauen Hinschauen zeigen sich unterschiedliche Auffassungen, die in diesem Beitrag systematisch eingeordnet werden sollen.

Verständnis(se) von OER

Der Begriff Open Educational Resources ist nicht scharf definiert. In der internationalen Diskussion werden häufig die Definition der Hewlett-Foundation oder die darauf aufbauende Definition der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) genutzt.

„OER are teaching, learning, and research resources that reside in the public domain or have been released under an intellectual property license that permits their free use and re-purposing by others. Open educational resources include full courses, course materials, modules, textbooks, streaming videos, tests, software, and any other tools, materials, or techniques used to support access to knowledge.“ The William and Flora Hewlett Foundation

Diese relativ unscharfe und nicht abschließende Definition kennzeichnet einen weiten Interpretationsraum mit verschwommenen Rändern. Schon die Suche nach einem adäquaten deutschen Begriff macht dies deutlich. Hier einige aktuelle Übersetzungsversuche:

Hinter den unterschiedlichen Bezeichnungen stehen häufig auch verschiedene Verständnisse des Begriffs OER. Sowohl die Bedingungen für Freiheit/Offenheit (Open) als auch für Lehr- und Lernmaterialien (Educational Resources) werden unterschiedlich weit gefasst. Im Folgenden werden diese beiden Skalen beschrieben. Grundlage dafür sind nicht nur die angeführten Publikationen, sondern vor allem die Diskussionen, die bei der OER-Konferenz 2013 an vielen verschiedenen Stellen geführt wurden.2

Open

Der Zusatz „offen” oder „frei” kann sich auf drei Bedingungen beziehen:

  1. Der Zugang zu den Materialien soll offen sein. (Daraus folgt indirekt die Möglichkeit zur Kostenfreiheit, die aber nicht zwangsläufig ist.)
  2. Die Materialien sollen unter einer Lizenz veröffentlicht werden, die die Weiterbearbeitung und Weitergabe der (ggf. bearbeiteten) Materialien ermöglicht.
  3. Software3, Dateiformate und Standards, die bei Erstellung, Vertrieb, Weiterbearbeitung und Nutzung zum Einsatz kommen, sollen offen zugänglich bzw. unter einer freien Lizenz veröffentlicht sein.

In einem engeren Verständnis von OER führt insbesondere der dritte Punkt zu deutlichen Einschränkungen, da die verbreitetsten Standards häufig nicht entsprechend frei lizensiert sind. Vorherrschend wird OER mit einem weiter gefassten Verständnis definiert, bei dem das dritte Kriterium nicht erfüllt wird oder schon das zweite Kriterium nur eine eingeschränkte Freiheit in der Weitergabe bietet. Gelegentlich werden auch solche Materialien als OER bezeichnet, die nur die erste Bedingung erfüllen. OER wird dann mit „kostenlosen Materialien“ gleichgesetzt. Es herrscht aber in Fachkreisen weitgehend Einigkeit, dass die Verwendung des Begriffs OER hier nicht zutreffend ist. Die aktuellen Debatten beziehen sich meist auf die Einschränkungen, die die Lizenz für die Weiterverarbeitung auferlegt. Zwar sind in Deutschland die Creative Commons Lizenzen zu einem Quasi-Standard für die Lizensierung von OER geworden, doch existieren hier unterschiedliche Lizenzmodule. Insbesondere die Einschränkung „für nicht-kommerzielle Zwecke“ sorgt für Kontroversen, da sie nicht nur eine markante Einschränkung auferlegt, sondern auch die Reichweite von „nicht-kommerziell“ sehr ungenau ist (vgl. dazu Klimpel 2012). Zwar definiert auch die Creative Commons Foundation selbst Lizenzen mit dieser Einschränkung als „nicht frei“ – allerdings führt sie auf derselben Website zahlreiche Projekte mit eben dieser Einschränkung als Referenzen für OER an. Weitaus weniger kontrovers und unter eher pragmatischen Aspekten wird die Einschränkung „Share Alike“/„Weitergabe unter gleichen Bedingungen“ diskutiert. Auch diese Lizensierung, nur halb scherzhaft „Missions-Lizenz“4 genannt, schränkt die Freiheit ein. Allerdings wird damit die nachhaltige Offenheit gesichert, weil Inhalte auch nach Bearbeitungen frei lizensiert bleiben müssen.

Educational Resources

Auch das Verständnis von Educational Resources kann unterschiedlich ausfallen. Dabei lässt sich insbesondere unterscheiden, 1. wie stark das Material explizit für Lernzwecke gedacht ist und 2. wie stark die Rolle des Lehrenden betont wird. Bei der ersten Unterscheidung geht es darum, ob eine Ressource auch dann schon als OER definiert werden kann, wenn sie nicht explizit für Lernzwecke erstellt wurde, wohl aber in Lehr-Lern-Kontexten zum Einsatz kommen kann. Als Beispiel kann die Plattform „OpenStreetMap“ dienen, eine Weltkarte, die die oben aufgeführten drei Kriterien zwar voll erfüllt, aber nicht explizit als „educational“ erstellt wird, gleichwohl natürlich in Lehr-Lern-Kontexten genutzt werden kann. Bei der zweiten Unterscheidung geht es um die Frage, ob auch learning resources unter OER gefasst werden können, die unabhängig von einem institutionalisierten Lernkontext genutzt werden können, also im Sinne von informellem Lernen.

Die in internationalen Definitionen häufig angeführte Dimension der research resources spielt in der deutschsprachigen OER-Debatte derzeit eine untergeordnete Rolle. Dies lässt sich vermutlich darauf zurückführen, dass für Hochschule und Forschung die Debatte um Open Access schon fortgeschritten geführt wird.

Fazit

„Open Educational Resources“ wird derzeit als Dachbegriff genutzt, dessen Bedeutung je nach Kontext konkretisiert werden muss. Eine konsensfähige Übersetzung ins Deutsche steht nicht in Aussicht, vielmehr wird auch für deutschsprachige Veröffentlichungen häufig der Begriff OER übernommen. Die bisweilen geforderte Schärfung des Begriffs ist angesichts des weiten Feldes, das er abdeckt, nicht zu erwarten. Zwar wird die Debatte um die Definition von „Open“ fortgeführt und differenziert werden. Da OER ja aber eine Teilmenge von „Educational Resources“ insgesamt ist, müssen die unscharfen Ränder des Obergriffs hinsichtlich der Bedeutung von „Educational Resources“ in Kauf genommen werden.

Verweise

1 Der Autor dieses Textes hat die OER- Konferenz 2013 als Programmkoordinator im Auftrag des Veranstalters Wikimedia Deutschland e.V. gestaltet.

2 Eine vergleichende Darstellung der wichtigsten Definitionen in der internationalen Debatte findet sich bei Kreutzer (2013) und bei Blees, Cohen, Massar (2013).

3 Im Regelfall wird von digital vorliegenden Materialien ausgegangen, auch wenn durchaus analoge Materialien existieren.

4 Paul Klimpel im September 2013 im Podcast „Die verbreitetsten Missverständnisse zu freien Lizenzen“ auf pb21.de. http:// pb21.de/2013/09/pb020-die-verbreitetsten-missverstaendnisse-zu-freien-lizenzen/ 1

Literatur

BLEES, INGO; COHEN, NADIA; MASSAR, TAMARA (2013): Freie Bildungsmedien (OER) Dossier: Offene Bildungsressourcen / Open Educational Resources – Handlungsfelder, Akteure, Entwicklungsoptionen in internationaler Perspektive, verfügbar unter: http://www.pedocs.de/volltexte/2013/7868/pdf/DBS_2013_OER.pdf 2

BRETSCHNEIDER, MIRJAM; MUUß-MERHOLZ, JÖRAN; SCHAUMBURG, FELIX (2012): Open Educational Resources (OER) für Schulen in Deutschland. Whitepaper zu Grundlagen, Akteuren und Entwicklungsstand im März 2012. http://www.joeran.de/oer-an-schulen-in-deutschland/ 1

DEUTSCHE UNESCO-KOMMISSION (2013): Was sind Open Educational Resources? Und andere häufig gestellte Fragen zu OER, verfügbar unter: http://www.unesco.de/oer-faq.html 2

KLIMPEL, PAUL (2012): Freies Wissen Dank Creative-Commons-Lizenzen. Folgen, Risiken und Nebenwirkungen der Bedingung „nicht-kommerziell – NC. http://irights.info/userfiles/CC-NC_Leitfaden_web.pdf 1

KREUTZER, TILL (2013): Open Educational Resources (OER), Open-Content und Urheberrecht, verfügbar unter: http://www.pedocs.de/volltexte/2013/8008/pdf/Kreutzer_2013_OER_Recht.pdf 2

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