Ein Gedanke gegen das pädagogisch gut gemeinte Aufschieben der Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz oder ChatGPT
Für alle, die das später einmal lesen: Wir schreiben Ende März 2023, als das Thema Künstliche Intelligenz im Allgemeinen und ChatGPT im Besonderen die Gesellschaft im Allgemeinen und den Bildungsbereich im Besonderen sehr beschäftigt. (Bei einer überhaupt nicht repräsentativen Umfrage unter den Teilnehmenden eines Konferenzvortrags letzte Woche meinte grob die Hälfte der Anwesenden, dass es sich dabei um die „größte Herausforderung handelt, vor der Schule in (überschaubarer) Zukunft steht“ – und das bei einer Freitext-Antwort.)
„ChatGPT sehe ich kritisch – lasst uns abwarten!“
Ein prominenter Standpunkt, den ich aus Schulen und Hochschulen zu KI und ChatGPT wahrnehme, lautet ungefähr so: „Das mag schon interessant sein und könnte in Zukunft eine Rolle spielen. Aber im Moment funktioniert das ja noch gar nicht so richtig / haben die Ergebnisse oft Fehler / durchschauen wir die Mechanismen dahinter gar nicht / kann das auch missbraucht werden / profitieren davon nur die Privilegierten / haben wir es mit einem unklaren Feld zu tun. Deswegen will ich erstmal abwarten.“
Das sind lauter richtige Beobachtungen. Aber die Schlussfolgerung, dass man daher abwarten sollte, lässt sich auch umdrehen: Es gibt keine bessere Situation, als grundlegend über Künstliche Intelligenz im Allgemeinen oder Anwendungen wie ChatGPT im Besonderen nachzudenken, als 2023! Gerade weil vieles noch nicht funktioniert, weil die Ergebnisse viele Fehler haben, weil die Anwendung ambivalent ist usw., können wir uns gut mit einem Bereich beschäftigen, die Funktionsweisen und Folgen reflektieren und uns gestaltbare Zukünfte vorstellen.
Hinter die Kulissen der KI blicken
2023 ist ein günstiges Zeitfenster, wo nicht nur allgemeines Interesse bei sehr vielen Akteuren besteht, sondern verschiedene Türen ein Stückchen weiter als sonst offen stehen, auf dass wir hinter Kulissen schauen, das Innenleben der Black Box hinterfragen sowie unsere Planungen und Befürchtungen, Forderungen und Wünsche formulieren können.
Im Themenfeld KI haben die älteren Generationen keinen prinzipiellen Vorsprung an Wissen oder Erfahrungen gegenüber den jüngeren. Deswegen sind Lerngemeinschaften, Peer-to-Peer-Lernen und ein Arbeiten im Herausfindemodus ein passender Modus für die Auseinandersetzung mit KI und ChatGPT in 2023.
PS: Standardsituationen der Technologiekritik, KI-Edition
Es ist übrigens eine Freude, wie gut man die Standardsituationen der Technologiekritik von Kathrin Passig (mein Lieblingstext 2009) auch entlang von KI und ChatGPT nachvollziehen kann.