Zum Inhalt springen

PowerPoint Tohuwabohu – die drei unvereinbaren Funktionen von Vortragsfolien

Zu zwei Dritteln werden PowerPoint & Co. unbewusst missbräuchlich genutzt.

Warum gibt es so viele schlechte Präsentationsfolien? Meine Erklärung lautet: PowerPoint, Prezi und Co. werden zu zwei Drittel missbräuchlich genutzt. Denn Vortragende und Publikum verfolgen je eine eigene, geheime Agenda.

Dieser Text deckt die zwei hinderlichen (und oft unbewusst genutzten) Funktionen von PowerPoint-Folien auf, stellt alle drei Funktionen vergleichend nebeneinander und endet mit einem einfachen schwierigen Grundsatz für wirklich gute Folien.

PowerPoint Folie, Text: „Können wir nach dem Vortrag die Folien bekommen?“ – „Haben Sie kein Smartphone mit Kamera?“

Wozu überhaupt Slides?

Würde man Vortragende und Publikum nach der Funktion von Folien fragen, würden sie antworten: „Folien dienen der Visualisierung des Gesagten. Sie unterstützen das, was der Vortragende mündlich vorträgt.“ Theoretisch stimmt das. Praktisch haben sowohl Vortragende wie auch Publikum jeweils eine geheime Agenda, die diese Funktion der Visualisierung konterkarieren.

In Wirklichkeit sollen Vortragsfolien drei Funktionen erfüllen, die sich gegenseitig im Wege stehen:

  1. Visualisierung des Gesprochenen
  2. Dokumentation des Vortrags
  3. Skript des Vortragenden

Werfen wir einen Blick auf jede der drei Funktionen:

A. Folien zur Visualisierung

Das ist die Funktion von Folien, an die alle glauben. Folien unterstützen das Gesagte. Sie zeigen zentrale Inhalte als Text, geben Orientierung im Verlauf des Vortrags und illustrieren Aussagen durch Bilder, Grafiken oder Tabellen. (In den letzten Jahren außerdem zunehmend beliebt: Videos in / statt Folien, die wahlweise witzig für das Publikum, entlastend für den Referenten oder tatsächlich inhaltlich unterstützend sein sollen.)

Damit man Folien entsprechend gestalten kann, gibt es ungezählte Bücher, einige Fortbildungen und jede Menge Tipps im Web. Typische Grundsätzen lauten beispielsweise:

  • Form follows Vortrag!
  • Nie mehr als 4 / 5 / 6 / 7 Zeilen Text pro Folie!
  • Bilder sind besser als Text!
  • Vorsicht bei Aufzählungslisten!
  • Vorsicht bei Formatierungen, Animationen, Übergängen, Ton und Farben!

Soweit, so einfach. (Naja, so einfach scheint es nicht zu sein, wenn man sich die Mehrzahl der Folien anschaut.) Wären da nicht die beiden versteckten Funktionen von Folien, die entsprechende Bemühungen unterlaufen …

B. Folien zur Dokumentation

Wie lautet die wichtigste erste Frage des Publikums vor / während / nach jedem Vortrag? „Können wir nach dem Vortrag die Folien bekommen?“ Dank Websites / Moodle / E-Mail-Verteiler etc. darf es 2017 eher als Standard denn als Ausnahme gelten, dass der Vortragende seine Folien hinterlässt. Die Argumente dafür, sofern sie überhaupt notwendig erscheinen, lauten vornehmlich:

  • „Dann müssen wir nicht alles mitschreiben.“ In 2017 häufig mit der Konkretisierung: „Dann müssen wir die Links nicht abschreiben.“
  • „Dann kann man sich das danach noch mal in Ruhe anschauen.“ Sehr beliebt in der Variante: „Dann können die Kollegen, die heute nicht hier sind, das auch noch durchlesen.“

Das sind nachvollziehbare Punkte. Nur: Eine Präsentation, die den Grundsätzen für gute Folien folgt, kann genau diese Ansprüche nicht erfüllen. Illustrierende Grafiken sind meist nicht selbsterklärend. Wenig Text pro Folie bedeutet niedriges Nachlese-Potential. Und warum sollte man ausgeschriebene Links während eines Vortrag auf eine Leinwand projizieren?

Kurz: Je mehr ein Vortragender sich bei seinen Folien auf die Unterstützung des Vortrags konzentriert, desto weniger sind seine Folien zur Dokumentation geeignet – und umgekehrt: Je mehr man bei den Folien schon an die nachträgliche Nutzung denkt, desto abträglicher ist das für die Präsentation vor Ort.

Folie mit Text: „Können wir nach dem Vortrag die Folien bekommen?“ – „Haben Sie kein Smartphone mit Kamera?“

C. Folien als Skript

Als wäre der Widerspruch der beiden ersten Funktionen nicht schon problematisch genug, gibt es noch eine dritte Funktion von Folien. Sie wird häufig übersehen und selten thematisiert. Wahrscheinlich ist vielen Vortragenden nicht einmal bewusst, dass sie groben Missbrauch mit ihren Folien betreiben: Sie nutzen sie nämlich heimlich als ihr eigenes Skript. Anders lässt sich nicht erklären, wie ausführliche Texte und ellenlange Listen auf Folien kommen, die bisweilen vom Vortragenden einfach nur vorgelesen werden.

Ich wette, dass die meisten Referenten mind. 10 Minuten lang gar nicht merken würden, wenn die Leinwand hinter ihnen abgeschaltete wird, solange sie nur selbst die Folien auf ihrem Monitor sehen können. Oder umgekehrt: Nimmt man diesen Vortragenden ihre Folien weg, wissen sie nicht mehr, was sie sagen wollen.

PowerPoint Folie als Skript missbraucht (6 Bullet Points)
Folien als Skript missbraucht (eigenes Beispiel, 2009)

Kann man Skript und Dokumentation nicht fusionieren?

Nun könnte man glauben, dass das Skript doch gut als Dokumentation dienen könnte. Das stimmt, solange das Skript eher einem Vortragstext ähnelt – was in der Regel aber mit einem langweiligen Vortragsstil verbunden sein wird. Bei einem lebendigeren Vortragsstil enthält das Skript neben dem Inhalt vor allem  Regieanweisungen an den Referenten selbst. Das können zum Beispiel Fragen an das Publikum, Notizen zu Murmelpausen oder Anleitungen für eine sonstige Interaktion sein, die man im Vortrag einbauen will. Oder man fügt hier ergänzende Daten oder Quellenangaben ein, die einem im Vortrag eine gewisse Flexibilität erlaubt, wenn das Publikum nachfragt. Ganz zu schweigen von Folien, die man „auf Vorrat“ einbaut, um im Falle eine entsprechenden Diskussion gezielt auf bestimmte Aspekte eingehen zu können.

Auf jeden Fall handelt es sich beim Skript um Inhalte, die sich an den Vortragenden selbst richten – also an den einzigen im Raum, der an der Dokumentation nicht interessiert sein wird.

Die drei unvereinbaren Funktionen von Vortragsfolien

Hier eine Übersicht über die drei Funktionen, die Powerpoint & Co. niemals gleichzeitig erfüllen können.

Visualisierung Dokumentation Skript
Was?
Inhalte
Metapher-Bilder, Kernaussagen etc. Zusammenfassung, Verweise Inhalte, Notizen zum Vorgehen
Wer?
Zielgruppe
Publikum nicht Anwesende Vortragender
Wann?
Timing
live nachträglich vorträglich
Wozu?
Funktion
Gesagtes unterstützen Vortrag ersetzen / ergänzen Erinnerung stützen
Wie?
Medienformen
viel Bild viel Text viel Text
Wo?
Darstellung
große Leinwand Papier / PDF Laptop / Monitor

Was nun? Fazit

Ein wichtiger Grundsatz für gute Vortragsfolien lautet also schlicht: Folien dienen ausschließlich der Visualisierung des Vortrags. Die Dokumentation des Vortrags und das Skript des Vortragenden haben auf der Leinwand nichts verloren!

Das klingt so banal, wie es im Alltag schwierig ist. Wobei „schwierig“ das falsche Wort ist. Es macht halt Arbeit, gesondert eine Dokumentation zu erstellen und das Skript von den Folien zu trennen.

PowerPoint Folie: „Folien dienen ausschließlich der Visualisierung des Vortrags. Die Dokumentation des Vortrags und das Skript des Vortragenden haben auf der Leinwand nichts verloren!“

9 Gedanken zu „PowerPoint Tohuwabohu – die drei unvereinbaren Funktionen von Vortragsfolien“

  1. Danke für diesen Beitrag. Das Smartphone-Bild deutet für mich auf ein weiteres Prinzip hin: Folien schon vor dem Vortrag abgeben, damit sie mit Notizen ergänzt werden können (damit entfällt auch die Aufgabe der Dokumentation für die Anwesenden).
    Meine Folien – https://www.slideshare.net/phwampfler – sind in der Regel schon sehr visuell, aber sie sind für mich auch ein Skript: Weil ich nur frei spreche, entwickle ich eine Art Rhythmusgefühl durch die Folien und weiß, wie lange ich für einen Vortrag mit 30, 40 oder 50 Slides brauche. Dort stehen dann jeweils auch die Wörter bzw. Metaphern, die ich in meinem Vortrag brauchen will, es sind also die Gedankenstützen, die sonst auf den Kärtchen stünden.
    Dazu kommt ein weiteres Prinzip: Folien sind keine knappe Ressource. Verdichtung ist das völlig falsche Prinzip, vielmehr macht es Folien besser, wenn man sie auseinandernimmt und verschiedene Rhythmen während eines Vortrags anschlägt: Mal viel zu einer Folie sagen und dann wieder nur in kurzer Abfolge Folien zeigen, ohne was dazu zu sagen.

  2. Danke für diese strukturierte Gegenüberstellung. Jetzt kann ich mein Problem mit vielen Vorträgen/Folien klarer benennen.
    Folien vorher (spätestens z.B per Link auf der Titelfolie) bereitzustellen um eine eigene Annotation durch die Zuhörenden zu ermöglichen finde ich auch eine sehr gute Idee. Dies ermöglicht zudem eine bessere Vorbereitung einer anschließenden Diskussion. Vielleicht ist Mut zum Abgeben der Dokumentation sinnvoll (Social Media, Video-Mittschnitt). Die Software-Funktion „Moderationsnotizen“ o.ä ist wiederum bestens geeignet (nur für den Präsentierenden sichtbar) die Aufgabe des Skripts zu übernehmen um sich dann in den Folien auf die Zuhöhrenden zu konzentrieren.

  3. Noch ein Punkt zur Ursache von Punkt 2 und 3, die man schnell erkennt, wenn man selbst mal ein Seminar betreut, in dem Studierende präsentieren sollen: Es wird vorgelebt und nicht hinterfragt.

    Studierende begegnen Vorträge vor allem in Vorlesungen. Hier hat sich die Skriptfunktion der Vorlesungen zu einem Konsens entwickelt, der auch der Dokumentationsfunktion sehr entgegenkommt. Alles, was auf der Folie steht, war offensichtlich in der Vorlesung dran und kann daher klagerisikoarm in der Prüfung drankommen. Im Hinblick auf die (vielleicht immer noch nicht so falsche) Annahme, dass die Studierenden die Folien ausdrucken, um Hervorhebungen und Notizen zu machen, versucht man dann oft auch, die Druckkosten gering zu halten und verdichtet die Inhalte auf den Folien. Sobald die Dozenten dann noch in die Versuchung kommt, Gliederungsebenen einzubauen, tappen sie schnell in die „jede Folie muss in der Bedeutungsebene gleichwertig sein“-Falle.

    Nachdem die Studis einige Semester das als nahezu einzige Vortragsvariante kennengelernt haben, ahmen sie das dann in eigenen Präsentationen nach und die Dozenten, die dann die Noten vergeben, hinterfragen das nur selten. Ich nehme auch an, dass es Lehrer*innen hier nicht anders geht – woher sollen sie auch gute Slides kennen? Aus dem Studium?

    Doktorand*innen gehen mit ähnlich gestalteten Slides auf Konferenzen, sehen dort Professor*innen, die auch solche Slides haben… ein ewiger Kreis 🙁 Menschen mit Akademisierungshintergrund müssten eben öfter in coole Konferenzen und BarCamps gehen, aber das macht leider nicht jede/r Arbeitgeber und/oder Reisekostenstelle mit…

  4. Eigentlich gibt es ja schon lange keine Ausrede mehr für diese Nutzung. Vor zwölf Jahren erschien
    http://presentationzen.blogs.com/presentationzen/2005/09/whats_good_powe.html und das passende Buch ist schon 2011 in die zweite Auflage gegangen.
    Auch die Referentenansicht kann PowerPoint schon lange – diese schlägt ja alle Fliegen mit einer Klappe: sinnvolle Folien zur Visualisierung, daneben Notizen für den Vortragenden, die auch als Dokumentation im akademischen Setting dienen können.
    Aber es ist wirklich schwer, das zu ändern, die Standardvariante ist zu verbreitet und zu einfach. Eine gut visualisierte Präsentation ohne Textwüste erfordert einen zweiten Schritt, den gute Vortragende gehen, zu dem aber nicht jeder bereit ist.

  5. Dank an alle. Jetzt bin ichmal so richtig gut vorbereitet auf die Vorbereitungen zu meinem nächsten Vortrag. Da das Vorträge halten mit digitaler Unterstützung nicht zu meinem täglich Brot gehört, haben mir eure Beiträge und Hinweise schon jetzt so einige Mühe erspart.

  6. Zumindest die Punkte A (Folien als Visualisierung) und B (Folien als Dokumentation) bekommt man mit dem beamer-Paket von LaTeX ziemlich gut hin, da man zusätzliche Informationen zur Dokumentation (also zum Nachlesen), die man während des Vortrags nur mündlich vorträgt, einfach zusätzlich einfügen kann. Über die drei Modi (Folien zur Anzeige), (Folien zum Ausdrucken, z.B. ohne Hintergrundfarben etc, zum Notizen machen) und (Folieninhalte als fortlaufendes Dokument) kann man ziemlich gut steuern, was man wo haben möchte und was nicht.
    Der Punkt C (Folien als Skript im Sinne von „Regieanweisungen“) war mir bisher auch nicht so bewusst. Ich denke, hier hilft aber einfach ein kleiner Spickzettel oder die Funktion „Taking Advantage of Multiple Screens“ aus dem beamer-Handbuch.

  7. Danke sehr Jöran! Habe den Artikel heute im Unterricht verwendet, um Jugendlichen den Zweck von Slides zu verdeutlichen 🙂

    Werde auch demnächst im Kollegium eine Fortbildung zu diesem Thema machen, danke nochmals für die Impulse!

  8. Ich erinnere mich noch gut an das sparsame Gesicht einer Unidozentin, die wegen eines Termins die Präsentation ausfallen lassen und dann auf Basis der Präsentationsfolien den nicht gehaltenen Vortrag bewerten wollte… und nicht fand, was sie suchte, weil die Folien wirklich nur als Visualisierung genutzt wurden.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert