Oder: Sachsen-Anhalt vertraut das Rückgrat seiner Schulen Microsoft an.
Sachsen-Anhalt will vorangehen und eine zentrale Schulcloud aufbauen, in der perspektivisch alle Daten von allen Lehrkräften und Schüler/innen des Landes gespeichert sind. Dafür setzt man auf Infrastruktur von Microsoft. Und Anwendungen von Microsoft. Die Umsetzung soll Microsoft übernehmen. Und um die Fortbildung für die Lehrkräfte kümmert sich wer? Microsoft. Der Kultusminister wurde übrigens vorher nicht gefragt.
Soweit die Kurzfassung. Ausführlicher stellt es die Journalistin Mandy Ganske-Zapf in einem Artikel „Digitale Bildung: Sachsen-Anhalt will mit Microsoft kooperieren“ bei den Netzpiloten dar. Ich werde dort unter anderem wie folgt zitiert: „Das ist ein relativ bedrohliches Szenario. Microsoft sitzt am Anfang und am Ende dieser Kette.“ Tatsächlich denke ich, dass die allermeisten Akteure gar nicht absehen, wie mächtig diese Grundsatzentscheidung ist. Es geht hier um die Infrastruktur für Arbeit und Leben von Hunderttausenden von Schüler/innen und Lehrkräften für die Zukunft. Im Zweifelsfall werden hier mittelfristig alle Aktivitäten aufgezeichnet, gespeichert und ausgewertet werden können.
In der öffentlichen Debatte gehen dabei drei Punkte durcheinander, die man voneinander trennen sollte:
1. das politische Prozedere,
2. das „kostenlose Office“,
3. die Infrastruktur-Frage.
zu 1) Offenbar hat das Finanzministerium im Alleingang gehandelt, ohne das für Schule zuständige Kultusministerium auch nur zu beteiligen.
Die lokale Presse berichtet von einem „tiefen Graben“ zwischen den beiden zuständigen Ministern (beide SPD). Auch die schematische Darstellung auf S. 5 im Letter of Intent zwischen Microsoft und Sachsen-Anhalt spricht Bände: Schüler, Lehrkräfte und Haushalte (!) stehen ganz unten, während über allem das Finanz(!)ministerium thront.
zu 2) Das „kostenlose Office für alle“ ist weder kostenlos noch besonders bemerkenswert.
Besonders beliebt ist in den Medien das Kapitel, das ein (vermeintlich) kostenloses Office 365 für alle Lehrkräfte und Schüler verspricht. Dazu muss man zweierlei Dinge anmerken: 1. So aufregend ist das gar nicht. Pauschalvereinbarungen sind im Office-Bereich alles andere als neu. 2. Man kann wohl davon ausgehen, dass die Lizenzen gar nicht „kostenlos“ sind, sondern das Land für einen Rahmenvertragen einen (vielleicht auch gar nicht so kleinen?) Betrag dafür bezahlen wird.
zu 3) Sachsen-Anhalt vertraut das digitale Rückgrat seiner Schulen Microsoft an.
Gleich der erste Satz im Letter of Intent bringt die Sache auf den Punkt. Es geht um „eine digitale Anwendungs- und Infrastruktur, die alle Bereiche des Lebens und Arbeitens zusammenschließt“ (Hervorhebung von mir). Auf Seite 4 ist davon zu lesen, dass es hier um das „digitale Rückgrat“ der Schulen geht. Die Metapher vom Rückgrat ist toll, das könnte man sich nicht besser ausdenken. Ein Rückgrat ist elementar wichtig für alle Funktionen des Körpers. Ein Rückgrat ist quasi nie Thema, solange alles gut funktioniert. Ein Problem mit dem Rückgrat kann den ganzen Körper lahm legen. Oder kurz: Wer das Rückgrat kontrolliert, kontrolliert den ganzen Körper.
Und Sachsen-Anhalt vertraut dieses Rückhgrat nun einem Unternehmen an, dessen Software wir nicht einsehen können und das nicht gerade durch Zurückhaltung in NSA-Totalüberwachung aufgefallen ist. Es geht mir allerdings gar nicht so sehr um Microsoft als Unternehmen. Andere Unternehmen sind manchmal besser, manchmal schlimmer. Es geht um die Grundsatzentscheidung: Der Staat gibt seine Souveränität auf und liefert nicht nur sein eigenes, sondern auch das digitale Rückgrat von Zehntausenden Mitarbeitern und von Hunderttausenden Kindern und Jugendlichen an ein einzelnes Unternehmen aus, dessen Arbeit nicht kontrollierbar ist.
Traurige Entwicklung, die mich an das Gebahren von Apple in den USA erinnert. Experimente sind gut, eine Komplettumstellung sollte jedoch freie Alternativen berücksichtigen.
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