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„Lerngemeinschaft“ statt „Kurs“ – ein alternatives Leitbild für Onlinekurse (MOOCs)

Bild via Pixabay | CC0

„MOOC“ steht inzwischen für große Onlinekurse. Das „C“ kann aber auch für „Community“ statt für „Course“ stehen. Wie sieht es aus, wenn man sich an „Lerngemeinschaft“ statt an „Kurs“ als Leitbild für das Online-Lernen orientiert? Eine Gegenüberstellung in 13+ Punkten.

Unser Onlinekurs ist weniger so …

Unser Onlinekurs Unsere Lerngemeinschaft ist mehr so …

1 Grundmodell Belehren: Der Anbieter vermittelt festes Wissen von der Zentrale zu den Teilnehmenden. Grundmodell Herausfinden: Es gibt ein sich in Entwicklung befindliches Wissen, über das die Teilnehmenden viel herausfinden.
2 Gleichschritt: Alle werden mit den gleichen Methoden, im gleichen Tempo  zum gleichen Ziel geführt. Forschungsexpedition mit gemeinsamen Zwischenetappen: Alle können vergleichbare, miteinander verwandt, aber individuelle Ziele erreichen, im je eigenen Tempo und mit je eigenen Methoden. Es gibt gleichschrittige Arbeitsphasen, so dass eine gewisse Synchronität im Austausch möglich ist. Dabei geht es aber eher um Phasen von Monaten als um Tage oder Wochen. Zusätzlich kann es für das Gruppenbildung gemeinsame Intensivzeiten geben, zum Beispiel bei Präsenzveranstaltungen, bei Webinaren, Sprint-Wochen o.ä.
3 Leitmetapher „Kurs“: Die Lernenden folgen einer Kursstruktur, in der sie vor allem Inputs und Übungen entlang eines mehr oder weniger festen Lernpfads bearbeiten. Die Co-Lernenden sind nice-to-have. Leitmetapher „Lerngemeinschaft“: Die Lernenden sind durch gemeinsame Interessen und Ziele miteinander verbunden. Die Lernenden müssen ihren Pfad (innerhalb von gemeinsamen Strukturen) selbst finden, teilweise sogar selbst erschaffen. Die Co-Lernenden sind die wichtigste Ressource.
4 E-Learning und Blended Learning: Das Lernen folgt der Idee des Trainings, bei dem ein Trainer zeigt, „wie es richtig“ geht, danach müssen die Teilnehmenden es nachmachen und üben. Die Arbeitsformen sind möglichst einfach, so dass man darauf möglichst wenig Energie „verschwenden“ muss. Online-Lernen und Treffen: Das Lernen folgt der Idee, dass die Lernenden die Ressourcen zusammensuchen, die sie für ihre Ziele brauchen. Sie können auch bei Experten zuschauen und nachmachen, müssen das Gelernte aber ihren eigenen Situationen nach auswählen und anpassen. Die Arbeitsformen sind der Komplexität der Sache angemessen und verlangen einen Teil der „Lernenergie“. Die Formen sind ein Stück weit auch Selbstzweck.
5 Künstliches Lernen: Lernende bekommen Input und Übungen, die sich die Kursanbieter ausgedacht haben. Die neuen Kompetenzen sollen sie (getrennt davon) später übertragen und anwenden können. Lernen und Handeln finden nacheinander statt. (Beispiel: Man macht einen „Lehrgang“.) Natürliches Lernen: Lernenden haben echte Projekte, echte Vorhaben, echte Probleme. Der Kursanbieter gibt einen Rahmen, in dem die Teilnehmenden Struktur, Anleitung, Know-How, Ressourcen und Austauschmöglichkeiten finden, die sie für ihre Projekte, ihre Vorhaben, ihre Probleme brauchen. Lernen und Handeln finden miteinander verwoben statt. (Beispiel: #Twitterlehrerzimmer und EduCamps.)
6 Experten haben Expertise durch formalen Expertenstatus. Auf ihrer Visitenkarte steht „Professor für …“ oder „Berater für …“). Es gibt eine klare Trennung in Lehrende / Dozenten einerseits und Lernenden / Teilnehmende andererseits (wie bei einer Fachtagung). Experten haben Expertise durch Erfahrungen und Wissen. Sie haben nicht alle eine Visitenkarte. Alle können auch Lehrende für bestimmte Aspekte sein. Peer to Peer-Lernen bedeutet Lernen voneinander und Lernen miteinander (wie bei einem Barcamp).
7 Einfache Lernziele: Es gibt ein klares, offizielles Curriculum. Und einen  verdeckten Lehrplan, über den sich vielleicht nicht einmal die Gastgeber Gedanken machen. Komplexe Lernziele: Alle Lernziele werden sichtbar gemacht. Es wird anerkannt, dass auch die „uneigentlichen“ Lernziele Energie brauchen, zum Beispiel das Erlernens des Arbeitens in einer Online-Community.
8 Im Mittelpunkt steht Content. Die Gastgeber überlegen sich genau, welcher Content der richtige ist. Die Lernende müssen dann schauen, wie ihre individuellen Ziele dazu passen. Im Mittelpunkt steht das eigene Vorhaben. Die Lernenden wählen den Content danach aus, wie er für ihre individuellen Ziele passt. Content gibt es auch, aber nicht (nur) vom Gastgeber erstellten Content, sondern (auch) von Dritten im Web und von den Teilnehmenden selbst gemacht (User Generated Content). Die Aufgeber des Gastgeber ist vor allem die eines Kurators und Unterstützers beim Navigieren.
9 Gemeinsamkeit ist Nebenprodukt. Sie wird vor allem als Mittel zum Zweck betrachtet, z.B. Motivation durch Peer to Peer-Feedback. Der Kurs ist prinzipiell auch ohne andere Lernende denkbar. Gemeinsamkeit ist elementar. Das Projekt ist nicht ohne die anderen Lernenden denkbar. Es gibt für alle synchronisierte Arbeitsphasen, so dass man sich gegenseitig unterstützen kann. Es gibt die Möglichkeit zum Zusammenschluss und Austausch in thematisch selbstgewählten Gruppen.
10 Erfolg wird standardisiert überprüft, indem über Quizzes, Tests etc. das Gelehrte möglichst gut wiedergegeben wird. Erfolg wird individuell überprüft, indem die Lernenden handlungsfähig in Bezug auf ihre eigenen Ziele sind.
11 Einheitlichkeit der Gated Community: Es gibt möglich klare Vorgaben, welcher Dienste und Tools genutzt werden können und wie. Beispiel: Die Teilnehmenden müssen ein selbst erstelltes Video über die entsprechend Funktion der gemeinsamen Plattform bereitstellen. Vielfalt des Webs: Manche arbeiten mit Google Docs, manche mit Office 365, manche mit Learning Apps, manche mit H5P („wie im echten Leben“). Es gibt so viel Standardisierung wie nötig, damit man untereinander kommunizieren kann. Aber dabei wird so viel Freiheit und Vielfalt ermöglicht. Beispiel: Die Teilnehmenden können ein selbst erstelltes Video über einen Dienst ihrer Wahl veröffentlichen – Hauptsache, sie können den anderen Lernenden einfach einen Link dazu geben
12 Geschlossenheit nach Außen: Was im Kurs geschieht, bleibt im Kurs. Was außerhalb der Kurswelt geschieht, passiert nicht im Kurs. Offenheit nach Außen: Die Lernenden können sich zu ihren Fragen, ihren Projekten, ihren Produkten auch andernorts austauschen, z.B. auf anderen Veranstaltungen oder auf Twitter. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, Dinge in geschützten Räumen zu kommunizieren und auszuprobieren. Was außerhalb der Lernplattform existiert, kann „hereingeholt“ (z.B. verlinkt) werden.
13 Struktur durch kleinschrittige Führung. Der Lernende weiß jederzeit, was der nächste Schritt ist. Es gibt auch nur eine Möglichkeit oder ein „Multiple Choice“, quasi eine Weiche mit mehreren, jeweils jeder klar geführten Wegen. Struktur wird durch gemeinsame Phasen und aufeinander bezogene Aufgabe geschaffen. Es gibt gemeinsame Leitplanken (z.B. Alle arbeiten bis zum Dezember an Phase 1 des Projektplans.). Dadurch ist eine gegenseitiger Bezug aufeinander möglich, z.B. Peer-Reviews, kollegiale Beratung, Vorstellung von Zwischenergebnissen bei Präsenztreffen. Der Lernende weiß, was als nächstes zu tun ist, allerdings nicht kleinschrittig, sondern im Hinblick auf 1. das nächste Zwischenziel und 2. mögliche Unterstützungen und Ressourcen für den Weg dorthin.
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Hintergrund

2014 sinnierten Friederike Siller, Jasmin Bastian und ich in einem Beitrag für das Hamburger eLearning-Magazin über unsere Erfahrungen mit der „Ausweitung der Kurszone“, unter deren Bedingungen das „C“ in „MOOC“ nicht für „Course“, sondern für „Community“ stehen kann.

Die tabellarische Gegenüberstellung oben von 2019 ist ähnlich aufgebaut wie eine solche Tabelle bei Lisa Rosa (2017): Lernen im digitalen Zeitalter.  Während Lisa Rosa sich auf Schulen und Lernen im Allgemeinen bezieht, fokussiert die Tabelle oben sich konkreter auf ein Vorhaben, in dem Online-Lernen und Treffen kombiniert werden („blended learning“), um ein neues Themenfeld zu erschließen.

Im Sinne eines diskussionsförderlichen Zugangs listet die folgende Tabelle teils redundante Überlegungen auf.

3 Gedanken zu „„Lerngemeinschaft“ statt „Kurs“ – ein alternatives Leitbild für Onlinekurse (MOOCs)“

  1. Lieber Jöran, genau das ist es, wovon ich träume im Felde des wissenschaftlich belegten Know-Hows zur Lebensfreude. Ein Lernen auf Augenhöhe, vergleichbar mit kollegialer Supervision im Virtuellen. Ich freue mich sehr, dass Ihr genau in diese Richtung denkt. Ich fühle mich dann nicht so alleine mit solchen Visionen 🙂

  2. Jöran Muuß-Merholz

    @Robert, danke Dir! Ja, das hat schon viel miteinander zu tun. Ich habe vor ein paar Jahren mal mit pMOOCs experimentiert. Das „p“ steht für „Projekt“ oder „Produkt“ und betont, dass eine Community gemeinsam an einem Projekt oder Produkt arbeitet. Meine aktuellen Überlegungen gehen dahin, cMOOC und pMOOC stärker miteinander zu mischen. Nicht *ein* gemeinsames Projekt, aber auch nicht „nur“ Austausch, sondern viele Akteure, die synchron an vergleichbaren Projekten arbeiten.

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