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Künstliche Intelligenz und Lehrkräftemangel – wofür investieren wir die Korrekturdividende der KI?

Kann die KI uns doch noch die Transformation im Bildungswesen retten, über einen Umweg?

2023 diskutieren wir zwei große Themen im Bildungsbereich: KI (Was verändert sich durch die Nutzung sogenannter „künstlicher Intelligenz“-Anwendungen?) und Lehrkräftemangel (Was tun, wenn wir auf 10+ Jahre hinaus zu wenige Lehrer*innen haben?) Wenn man beide Diskussionen miteinander verbindet, gibt es ein düsteres und ein weniger düsteres Szenario.

Der Roboter Kuka kopiert die Luther-Bibel, im ZKM in Karlsruhe (2007). Foto von Marc Wathieu, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Die düstere Perspektive: KI mildert die Bildungskatastrophe ab

An vielen Orten werden noch Rückzugsgefechte geführt, indem man versucht, die neuen Möglichkeiten der „Künstlichen Intelligenz“ zu bekämpfen oder zu verbieten. An den interessanteren Orten geht es darum, wie wir Lernen und Lehren mit KI besser (oder zumindest einfacher) gestalten können. Eine dritte Perspektive würde ich als Realo-Ansatz einordnen: KI kann dazu dienen, den jetzigen Zustand, wahlweise als „Bildungskatastrophe“ oder „Bildungsnotstand“ bezeichnet, abzumildern.

Eine naive Hoffnung lautet – auch wenn sie so kaum ausgesprochen wird: „Wenn wir nicht ausreichend Lehrkräfte haben, können wir die Schüler*innen vor Computer setzen und sie mit Lehrvideos und Lernprogrammen arbeiten lassen.“ (Ganz so naiv ist das möglicherweise gar nicht. Zumal die EdTech-Unternehmen derzeit genau mit diesem Versprechen in den Lobbyräumen der Politik unterwegs sind. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Eine andere, lehrseitige Hoffnung lautet: Die Lehrkräfte können in einem ihrer zeitlich anspruchsvollsten Aufgabenbereiche entlastet werden: Feedback geben, Arbeiten korrigieren, Bewertungen schreiben. Denn auch das verspricht die Künstliche Intelligenz zu übernehmen. (Wie genau das funktioniert, kann man bei Bedarf im Video nachvollziehen.)

Nach meiner Erfahrung erzeugt die Verheißung „Nie wieder korrigieren!“ die mit Abstand größte positive Reaktion in Schulen (und Hochschulen). Auch hier gilt: Der aktuelle Lehrkräftemangel und die systemische Erfolglosigkeit in Sachen Basiskompetenzen könnten diese Perspektive nennenswert ent-naiv-ieren, also die Umsetzung realistischer werden lassen.

Im Ergebnis muss das nicht zwingend eine Erfolgsgeschichte sein. Es kann auch einfach passieren, dass die Lernprogramme als mittelmäßige Betreuungs- und Beschäftigungsmaßnahme eingesetzt werden und dass die Lehrkräfte für jede Stunde, die sie weniger korrigieren, einfach eine Stunde mehr unterrichten müssen.

Die hellere Perspektive: KI ermöglicht Spielräume durch eine Korrekturdividende

Eine Bildungspolitik, die nicht nur die „Bildungskatastrophe“ etwas erträglich machen und den „Bildungsnotstand“ abmildern möchte, braucht höhere Ansprüche. Sie darf die Ziele einer grundsätzlichen Transformation von Lernen und Lehren nicht ignorieren, aufgeben oder hintenanstellen. Die notwendigen Umbrüche, wie sie z.B. Lisa Rosa oder das Forum Bildung Digitalisierung oder (Achtung!) die Kultusministerkonferenz (KMK) beschreiben, sind gewaltig.

Ich setze auf den Hoffnungsschimmer, dass nicht nur ein schlechter Zustand sich etwas weniger schlecht wird, sondern grundsätzliche Transformation im Bereich des Möglichen bleibt. Die „Korrrekurdividende“ kann ein Baustein dafür sein. Mit Korrekturdividende bezeichne ich die Arbeitszeit von Lehrkräften, die nicht in Anspruch genommen wird, wenn Korrektur- und Feedback-Arbeiten von einer Maschine („Künstliche Intelligenz“) statt von der menschlichen Lehrkraft übernommen werden.

Schule und ihre gute Gesellschaft müssen dafür kämpfen, dass durch die Korrrekurdividende frei werdende Arbeitszeit nicht nur in Mehr-vom-Alten und in das Stopfen von Löchern gesteckt, sondern in neue Wege und Arbeit-für-Innovation-und-Transformation investiert wird.


Hintergrund: So funktioniert adaptives Lernen mit Intelligenten Tutoriellen Systemen (ITS)

PS: Die demografische Dividende

Mit dem Schlagwort „Demografische Dividende“ wurde noch vor gut 10 Jahren im Schulsystem argumentiert. Die Idee damals: In der Zukunft würden wir weniger Schüler*innen haben, so dass die Lehrkräfte weniger zu unterrichten hätten. Wenn man nun nicht die Stellen abbauen würde, könne man die freiwerdende Arbeitskraft für andere Schwerpunkte nutzen, zum Beispiel um die Klassengröße zu verkleinern. Von heute aus wirkt es bizarr, dass es damals Konsens war, auf sinkende Schülerzahlen zu setzen. Wir wissen, dass das Gegenteil passiert ist.

Insofern ist Demut angebracht. Möglicherweise werden sich meine Überlegungen oben im Rückblick als grundlegend falsch herausstellen.

3 Gedanken zu „Künstliche Intelligenz und Lehrkräftemangel – wofür investieren wir die Korrekturdividende der KI?“

  1. Danke für deinen Text!
    Ich könnte ein bisschen mitgehen mit der Perspektive:
    „Wir lassen allen Blödsinn, den wir überwinden wollen, von einer ‚KI‘ erledigen. Dann haben wir stattdessen Zeit für die Gestaltung sinnvoller Lernprozesse!“
    Dein Vorschlag ist aber ja – wenn ich ihn richtig verstehe – ein anderer:
    „Wir versuchen, Korrekturdividende für grundlegende Transformation zu nutzen.“
    Hier ergibt sich aus meiner Sicht das Problem, dass Korrekturdividende nur dann entsteht, wenn man mithilfe von KI all das optimiert (Instruktion von vorgefertigten Lehrplänen, Bewertung …), was man eigentlich (mindestens zu einem großen Teil) überwinden will. Und wenn wir das erstmal KI-optimiert haben (woran sehr viele Edtech-Unternehmen ein großes Interesse haben, wie Du ja auch selbst im Text andeutest), dann werden wir es noch viel schwieriger verändern können. Das ist ein Widerspruch, den ich für mich nicht aufgelöst bekomme.
    Mein (noch nicht fertig gedachter) strategischer Vorschlag ist deshalb eher: KI-Tools ziehen traditionellem Lernen den Boden unter den Füßen weg und wir haben Mangel überall. Dann lasst uns doch eingestehen, dass wir ganz neu denken müssen, weil wir sonst unweigerlich immer tiefer in die Bildungskatastrophe schlittern!

  2. Jöran Muuß-Merholz

    Danke für den Kommentar, Nele! Den strategischen Punkt am Ende finde ich sympathisch. Das wäre für mich die Fundi- statt die Realo-Perspektive. Ich möchte einen Punkt anders einordnen: Wenn wir „Korrekturen“ weit fassen, als Rückmeldungen zum Lernen im weitesten Sinne, dann wäre das Einsatzfeld kein Blödsinn. Zwei Beispiele: 1) Routinen für Basiskompetenzen, wo es ganz viel um Üben, Üben, Üben geht. 2) Diagnose & Feedback, um herauszufinden, was ich schon kann bzw. was meine nächsten Schritte sind.

  3. Danke für die Gedanken.
    Ich sympathisiere auch mit der Fundi-Perspektive und denke, dass KI-Copiloten in LMS-Systemen einen bedeutenden Beitrag zur nötigen Reform des Bildungswesens leisten können. Ich vermisse bei den Debatten um KI und Bildung oft die gesamtgesellschaftliche Perspektive. Die Disruptionen in der Arbeitswelt durch KI sind ja mindestens genau so groß wie im Bildungswesen und das muss zusammen gedacht werden. Die Bedeutung von Schule und Bildung steigt meiner Meinung nach in einer KI-geprägten Gesellschaft. Bildung wird komplexer (VUCA-World).

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