Einladung zu einem Was-wäre-wenn-Gedankenspiel
Was passiert, wenn wir im Bildungssystem alle Abschlussprüfungen abschaffen und nur noch über Zugangsprüfungen arbeiten?
Ich möchte alle zum diesem Gedankenexperiment einladen, die Lust und Neugier haben. Hier im Netz und bei einer Session auf dem #educampX in Neuharlingersiel.
Wer mitmachen mag, schreibt einfach einen Kommentar hier im Blog. Einzelne Fetzen sind willkommen. Lieber drei Aspekte kurz und einzeln als eine ausführliche und differenzierte Abhandlung. Die Frage lautet konkret: „Was ändert sich wo/beim wem, wenn wir morgen im Bildungssystem alle Abschlussprüfungen verbieten (Zugangsprüfungen aber erlaubt bleiben)?“
Ich vermute, dass eine gute mehrmalige Nachhake-Frage „Und dann?“ lautet. Also: „Was passiert danach, als Reaktion auf diese Veränderung?“ Und dann: „Und was wiederum als Reaktion darauf?“ Vermutlich ist es sinnvoll, das anhand unterschiedlicher Gruppen durchzudeklinieren: Was macht dann die Hochschule? Was macht dann die weiterführende Schule? Was macht dann der ausbildende Betrieb? Was macht dann der Recruiter? Wie wird dann ausgewählt, wer studieren darf? Wie wird dann ausgewählt, wer Lehrer wird? Wie reagiert darauf die Schule? Wie reagiert darauf die Hochschule? …
Los geht’s!
Dann kann niemand mehr ins Ausland gehen – oder ziehen alle in der Welt mit?
Zudem wären die anderen Abschlüsse der umliegenden Staaten ja (auch) nichts mehr Wert – und wenn die die Zulassungsprüfung nicht schaffen, wird es gleich wieder als diskriminierend bezeichnet.
1. Man könnte sich stärker auf das wirkliche Lernen konzentrieren (weil das Vorbereiten auf die Abschlussprüfung wegfällt).
2. Die aufnehmende Institution würde u. a. Darbietungen von komplexen, sinnvollen, relevanten eigenen Leistungen einfordern, um zu sehen, ob die/der Kandidat/in zur Institution passt – das wäre wiederum positiv für das Lernen zuvor, wo dann genau das erarbeitet würde.
3. Man müsste den Aufschrei aushalten, der käme, wenn der Heilige Gral der Ziffernnote angetastet würde.
@Björn: Statt der Vorbereitung auf die Abschlussprüfung kommt die Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung.
Kurzer Fetzen aus Magdeburg: Hier sollte man für die Bewerbung ein Medienprodukt (Film, Webseite, etc.) einreichen, aus welchem die eigene Motivation und das Interesse für den Studiengang Bachelor Medienbildung hervorgeht. Hintergrund war das Ziel, Personen die Möglichkeit zu geben ihre Abiturnote aufzubessern (Medienkompetenz half damals beim Abitur ja meistens eher selten weiter ;-)). Produkte wurden von Studis bewertet. Ich war einmal bei Bewertung dabei, sehr aufwändig und manchmal sehr schwer fair zu bewerten wegen medialer Viefalt – und auch weil die Aufgabe ab und zu missverstanden wurde und z.B. das Video der Abi-Abschlussfahrt eingereicht wurde. Challenge aus meiner Sicht: Faire Zugangsprüfungen entwickeln?
Bin gespannt auf die Session. Sehe Abschlussprüfungen allerdings nicht als zentrale Stellschraube. Es geht vielmehr um ein generelles Hinterfragen von Ziffernnoten in unserer Leistungsgesellschaft. (Was ist ein Mensch wert? Ohne Abitur bist du nix!) Um diese Gedanken verschwinden zu lassen benötigt es mindestes zwei Generationen. Jeder L ist gestresst, wenn er/sie alle 6-8 Wochen eine Arbeit schreiben soll. Vor allem: Was ist der Effekt? Kompetenzen zu benoten ist so paradox wie Inklusion im Kontext unseres mehrgliedrigen Schulsystem. Ab jetzt wird es ein Roman – also höre ich auf…
Ziffernoten waren der erste Schritt im Quantifizierungswahn in der Bildung. SIe suggerieren dabei eine nicht vorhandene Objektivität, die selbst bei zentral organisierten Prüfung niemals gegeben ist; Stichworte: Abehängigkeit von Lehrkraft und Prüfungsform. Ob Personen wirklich Kompetenzen und Fähigkeiten besitzen erschließt sich nicht aus einer Note. Wir müssen uns nur den aktuelle Diskurs um den Medizin-NC ansehen. Ein weiteres gutes Beispiel ist die Lehrerbildung. An sich kann (fast) jeder Lehrer werden. Man muss dafür weder unterricht können oder Fachwissen haben. Man muss nur verstehen wie das System funktioniert und wie man es sich leicht machen kann, hindurch zu kommen; Stichwort: Bullemilernen.
Ein Aufwahlverfahren wie Matthias Andrasch es beschreibt könnte hingegen viel zielgerichteter die Qualitäten von Bewerbern erfassen. Und wo ist das Problem? Wie viele Firmen schauen schon heute nicht mehr auf Noten, sondern eher auf Erfahrungen, praktische Anwendbarkeit und soziale Softskills.
@Sven: Wenn eine Aufnahmeprüfung eine verzögerte Abschlussprüfung ist, bringt die natürlich wenig. Wenn man hier aber kreativer und individueller herangeht, kann es funktionieren. Vergleichbar wäre hier das sehr aufwendige, aber ungemein erfolgreiche Auswahlverfahren der Firma Apple, um die für die Firmenziele besten Mitarbeiter/innen zu finden.
Dann würden Repetitorien wie Pilze aus der Erde sprießen uns einem versprechen, dass man mit ihnen die Aufnahmeprüfung schafft. Das werden die verunsicherten Schüler, die ja keine bestandenen Abschlüsse mehr haben, gierig annehmen. Die wichtigsten Kompetenzen lernt man dann weder auf der Schule noch an der Uni, sondern dazwischen beim sauteuren Rep. An die besten Unis kommen dann nur noch Reiche.
Und beim Rep fallen sowohl Persönlichkeitsentwicklung als auch Wissenschaftlichkeit hinten runter. Da wird Bildung dann wieder zum stumpfsinnigen Pauken.
Gabi Reinmann (2012): Was wäre, wenn es keine Prüfungen mit Rechtsfolgen mehr gäbe? Ein
Gedankenexperiment. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0111-opus-82979