Zehn Fragen und eine Metapher zur „digitalen Schule“
Die Bild am Sonntag berichtet von Plänen der Bundesbildungministerin Johanna Wanka: Bis 2021 sollen über einen „DigitalPaktD“ 5 Milliarden Euro Bundesmittel in die Digitalisierung von Schulen fließen. 40.000 Schulen in Deutschland (alle außer Förderschulen) sollen einen Breitbandanschluss, WLAN und Computer bekommen. Wanka wird wie folgt zitiert:
„Schülerinnen und Schüler müssen heute auch digital lernen und arbeiten können, statt nur zu daddeln. Dafür brauchen wir einen Digital-Pakt zwischen Bund und Ländern. Gemeinsam können Bund und Länder so den Schulen das richtige Werkzeug für gute Bildung im 21. Jahrhundert geben.“
Kritische Fragen zu „DigitalPaktD“
Nun ist dies nur eine Vorankündigung, so dass man auf zentrale Fragen noch keine Antwort bekommt. Ich hätte zum Beispiel folgende Fragen:
- Warum nimmt man die 2.986 Förderschulen aus? Gerade dort gibt es ja in Sachen individuelles Lernen und assistive / adaptive Technologien schon lange Erfahrungen.
- Was heißt das „Breitband“ in „Breitbandanschluss“ in 2021 für Häuser, in denen dann mehrere Hundert Personen gleichzeitig (!) das Netz nutzen?
- Was ist mit „Computer“ gemeint?
- Woher kommt die verquere Grundannahme von einer Bundesbildungsministerin (!), dass Schüler*innen bisher mit digitalen Medien „nur daddeln“?
- Hat ein Pakt nicht immer zumindest zwei beteiligte Partner? Kann es sein, dass die Länder teilweise vorab gar nichts über den Pakt wussten, der da mit ihnen geschlossen werden soll?
- Wieso überhaupt (nur) die Länder? Für die Ausstattung sind ja auch bisher gar nicht die Länder, sondern als Sachaufwandsträger die Kommunen zuständig.
- 5 Milliarden über welchen Zeitraum? Einmalig? Und was kommt danach?
- Rechne ich richtig, dass es um 475,75 Euro pro Schüler geht? (8 335 061 an allgemeinbildenden minus 322 343 an Förder- plus 2 496 954 an Beruflichen Schulen)
- Wissen der Finanzminister oder der Deutsche Bundestag schon davon? Wird das noch vor der Bundestagswahl 2017 in trockene Tücher gebracht?
- Wer kriegt das Geld? Wissen die schon davon?
Was kann der DigitalPaktD vom Ganztagsprogramm lernen?
Es gab in Deutschland schon einmal etwas Ähnliches: Mit dem Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung (IZBB), allgemein als „Ganztagsschulausbau“ bekannt, brachte der Bund ein Milliarden-schweres Investitionsprogramm in die Schulen.
Für den Ausbau der Ganztagsschule hat man für vier Milliarden neue Gebäude und neue Räume an die Schule angebaut. Dabei hat man häufig „die alte Schule“ genau so bestehen lassen. Nur dass es jetzt auch eine Mensa und einen Nachmittagsbereich daneben gibt. Die Schule insgesamt kann im Wesentlichen weitermachen wie bisher. Sie hat nur ein Ergänzung, quasi ein Add-On bekommen.
Beim DigitalPaktD besteht die Gefahr, dass es genau so läuft. Man pappt eine zusätzliche Komponente an das Bestehende an. Die Digitalisierung wird als Add-On gesehen. Alles kann bleiben wie bisher, nur dass es jetzt auch noch eine Digitalecke gibt. „Digitale Schule“ kommt dann in Form von PC-Räumen und Computerecken, Projektwochen und Aktionstagen, Nachmittagsangeboten und Medienbeauftragten. Wenn das Digitale etwas mehr in die Breite kommt, dann wird das Schulbuch zum PDF, der Lehrvortrag mit Tafelbild wird zu PowerPoint, der Vokabeldrill von Lernkarten zu digitalen Trainingsprogrammen, und YouTube ersetzt die FWU-Filme.
Die allerseits geforderte neue Lernkultur stellt sich nicht von alleine ein. Die ist viel schwieriger und weder per Beschluss noch als 5-Jahres-Plan zu etablieren.
*Credits: Für diese Beschreibung des Ganztagsprogramms bin ich von Thesen von Karl-Heinz Imhäuser, Montag Stiftungen, inspiriert worden
Meine volle Zustimmung zu Deine Fragen, Jöran!!!
Und was passiert mit einer Schule wie der, an der ich unterrichte , an der es schon seit weit mehr als 15 Jahren (so lange bin ich schon da) drei voll ausgestattete Computerräumen und seit Neuestem auch ein (weitgehend) funktionierendes WLAN gibt: Bekommen wir dann nichts ab? Oder vielleicht doch eine schnellere Internetverbindung? Oder …?
Didaktische Konzepte z.B. wären dringend auch zu fördern!
Es tut mir Leid, aber 2017 sind ja Bundestagswahlen: Da bleibt doch ein Geschmäckle, dass es hier (zumindest auch) um einen vorgezogenen Wahlkampfbeitrag geht. – Eigentlich schade, denn mit 5 Milliarden Euro ließe sich ja, gut geplant und gut angelegt, doch Vieles bewegen!!!
Die Fragen 6 und 10 sind ansatzweise beantwortet, die Schulträger sollen das Geld übers Land beantragen können (s. SPON).
Tatsächlich sind aber scheinbar viele Fragen noch offen, die du treffend zusammengefasst hast, Jöran, nebst der wichtigen Ergänzung von Karl.
Eine weitere Frage, die mich seit langem beschäftigt, geht in Richtung der ebenfalls von Wanka geforderten „guten Konzepte für Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer“. Wie viele Ressourcen könnten hier gespart werden, wenn nicht jedes Bundesland seinen eigenen Saft mixen würde und teilweise ja sogar innerhalb der BL zigfach die selben Rezepte parallel entwickelt werden. Um es bildlich zu sagen, jeden Nachmittag sitzen tausende Lehrer des selben Faches am selben Thema und grübeln über die perfekte Stunde. Selbst wenn wir durchschnittlich nur 5 Minuten Grübelei annehmen würden, müssten eigentlich längst die Landesrechnungshöfe einschreiten …
Die Ressourcen könnten (und müssten längst) in profimäßig gestaltete Aus- und Fortbildungen und entsprechende Materialien gesteckt werden, die OER und CC sauber sind und in unterschiedlichsten Formaten verfügbar sind … (Bitte komme mir jetzt keiner mit Gleichschaltung und so).
Volle Zustimmung zum Beitrag und den bisherigen Kommentaren! Es ist in der Tat ein Trauerspiel, wenn wir zusehen müssen, wie das längst überholte Modell der Belehrung (oder des Nürnberger Trichters) immer wieder in neuer Verpackung aufersteht – diesmal im digitalen Gewand, bunt, multimedial und vernetzt. Dass Politiker_innen nichts von Pädagogik verstehen, ist ja vielleicht noch nachvollziehbar, aber dass auch deren Berater_innen nicht über den Tellerrand schauen und die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen wahrnehmen wollen oder können, ist schon sehr verwunderlich. Finnland macht es uns (wieder einmal) vor: Abschaffung der auschließlichen Fachorientung zugunsten einer Kombination aus Fähigkeiten- und Fächer-basiertem Unterricht und der Zusammenarbeit zwischen den Fächern. Kaum ist die Meldung in der Welt, gibt es erste Unkenrufe: Der neue Lehrplan könnte Finnlands Spitzenergebnisse in den PISA-Studien negativ beeinflussen. Die Antwort auf diese Befürchtung lässt sich auf der Homepage „Die Wahrheit über die finnische Schule“ nachlesen. (Ministerium für auswärtige Angelegenheiten Finnlands, Abt. für Kommunikation, https://finland.fi/de/leben-amp-gesellschaft/die-wahrheit-uber-die-finnische-schule/).