Sechs Ideen von Jöran Muuß-Merholz (2018, leicht aktualisiert 2020)
Die folgenden Überlegungen hatte ich 2018 für den ichMOOC (bis heute der größte Volkshochschulkurs ever) aufgeschrieben. Auch heute noch empfinde ich Quizfragen beim Onlinelernen häufig als bevormundend und infantilisierend. Gleichzeitig erkenne ich ihren Wert auch auf der behavioristischen Ebene an (unten Punkte 1 bis 3). Die folgende Liste soll die möglichen Funktionen erweitern (Punkte 4-6) und so die Arbeit mit Quizzes breiter aufstellen.
Vorbemerkungen
Quizfragen werden in Onlinekursen standardmäßig als Assessments genutzt, also um Wissen, das auf einer anderen Ebene vermittelt wurde, zu prüfen oder zu festigen. Die Informationen selbst soll über Texte oder Videos angeboten, die Quizzes greifen das dann wieder auf.
Im Folgenden werden Überlegungen aufgestellt, wie Quizfragen nicht nur zum Assessment, sondern auch als eigenes Informationsangebot verstanden werden können. Auf der Quizebene geht es also um Informationen, die nicht im Text oder Video angeboten wurden, sondern darüber hinaus gehen. (Es versteht sich von selbst, dass sie nicht ein ganz anderes Thema betreffen, sondern gedankliche Vertiefungen und Ergänzungen umfassen.)
In den folgenden Punkten sind als Beispiele i.d.R. Multiple-Choice-Fragen genannt. Aber selbstverständlich sind auch andere Aufgabentypen (z.B. Lückentext, Zuordnungen, Freitext etc.) denkbar.
Unterschiedliche Funktionen von Quizfragen
Die folgende Aufzählungen unterscheidet Quizfragen entlang unterschiedlicher Funktionen:
- Quizfragen, die die Videos begleiten, können eine Abfrage der gerade erklärten Inhalte sein. Dies kann sinnvoll sein, wenn damit Verständnis geprüft wird.
Beispiel: Wie hat die Expertin im Video diejenigen Menschen genannt, die im Internet ständig destruktiv, provozierend und unsachlich kommunizieren? a. Trolle, b. Trottel, c. Eulen - Lerntheoretisch ist es besonders sinnvoll, wenn die Fragen einen Transferschritt fördern, also beispielsweise das Gelernte in eigenen Worten zusammengefasst oder ein eigenes Beispiel gefunden werden muss. Allerdings sind diese Aufgaben anspruchsvoll und bremsen viele Lernende, so dass sie vorsichtig dosiert werden müssen.
Beispiel: In digitaler Kommunikation entstehen Missverständnisse schneller. Beschreiben Sie ein Beispiel aus Ihrer eigenen Erfahrung. - Mindestens genauso wichtig sind die Quizfragen, um den Aktivitäts- und Aufmerksamkeitslevel hoch zu halten. Dafür können Fragen auch schnell und einfach gestaltet sein.
Beispiel: Wie heißt die Expertin für Big Data, die im aktuellen Video interviewt wird? a. Kira Klapper, b. Nina Neuer, c. Lisa Lauter. - Fragen müssen nicht immer eine Wiederholungen des Vorherigen sein, sondern können als Bonusfragen auch darüber hinausgehen. Eine Variante besteht darin, den Inhalt durch die Quizfragen zu erweitern, indem zusätzliche Information über die Frage transportiert wird.
Beispiel: Der Experte im Video hat davon gesprochen hat, dass digitale Geräte in den letzten Jahren rasante Verbreitung im Alltag gefunden haben. Schätzen Sie, wie viele von 100 Erwachsenen vor 5 Jahren (2013) ein Smartphone hatten. a. 10%, b. 35%, c. 60%. [Zweite Frage:] Und wie hoch schätzen Sie diese Zahl für 2018? a. 35%, b. 60%, c. 80%. - Die Quizebene kann auch genutzt werden, um Inhalte aus dem Video zu konkretisieren, beispielsweise um dort genutzte (aber nicht erklärte) Fremdwörter oder Begriffe zu erläutern.
Beispiel: Was verbirgt sich hinter der im Video erwähnten Suchmaschine „Yasni“? a. Yasni durchsucht die Suchergebnisse von anderen Suchmaschinen und stellt Informationen über Menschen zu Steckbriefen zusammen. b. Yasni ist eine Spyware, die heimlich die Festplatte von Internetnutzern durchsucht. c. Yasni ist der Name eines Spiels, das vor allem bei älteren Menschen sehr beliebt ist. - Wichtig ist Abwechslung in Form und Ausrichtung der Fragen.
Beispiel: Das Video wird angehalten, nachdem dort der Moderator die Frage gestellt hat: „Kann der Arbeitgeber die Facebooknutzung bei der Arbeit generell verbieten?“ – aber bevor ein Experte die Frage beantwortet hat. Die Quizfrage greift also vor im Sinne von: „Was ist die richtige Antwort, wie ist Ihre Einschätzung? a. Ja, ganz klar. b. Es kommt auf den Arbeitsplatz an. c. Nein, denn es fehlt eine gesetzliche Grundlage dafür.“
Inhaltlich passend dazu ist auch der Blog-Artikel „H5P: Multiple-Choice“ von Peter Baumgartner: https://peter.baumgartner.name/2020/08/31/h5p-multiple-choice/
Moin und danke für die Auflistung, der ich so zustimmen kann, und noch etwas anmerken möchte.
Zum Punkt 2 (Lerntransfer): Dass solche Aufgaben die Lernenden „bremsen“ sollte als Feature verstanden werden: gerade wenn es viel Input über Video und Texte gibt, können die Lernenden endlich mal etwas selbst machen, und nicht nur klicken. In der Beratung von Autor:innen unterscheide ich deshalb im Wording zwischen „Quizfragen“ zur Selbstüberprüfung und „Aufgaben“, bei denen reflektiert oder angewendet werden kann. Die Quizfrage kann dann bspw. über ein Freitextfeld auch das Ergebnis einer länger dauernden Rechnung überprüfen.
An dieser Kategorie lohnt sich glaube ich auch eine weitere Unterteilung in Standardtypen. Mit Diskussionsaufgaben, Rechenaufgaben, Rechercheaufgaben etc. scheint es hier eine ganze Menge an Grundmustern zu geben, die ich zwar intuitiv nutze, aber noch nicht irgendwo aufgeschrieben habe.
Was auch noch denkbar wäre, aufgrund der Komplexität aber nicht oft gemacht wird, wären Quizfragen zur Lernwegsteuerung oder Materialfreischaltung.
* Lernwegsteuerung: Ausgehend von einer Antwort könnte die Weiterführung entschieden werden. Das lässt sich auch mit anderen Fragearten verknüpfen. Ein kleines Beispiel: beim MOOC Kosten- und Leistungsrechnung wurde man je nach Antwort zu einer anderen Erklärung weiter geleitet http://showroom.oncampus.de/loop/H5P-Interaktionen#Interaktives_Video. Heute würde man das vermutlich etwas galanter über das Branching Szenario machen, hier wird es auch etwas intuitiver, vermutlich aber nicht weniger komplex.
* Materialfreischaltung (auch das ist eher eine Kombination mit den oben genannten Arten): Je nach Antwort werden bestimmte Materialien freigeschalten. Auch hier gab es im MOOC Kosten- und Leistungsrechnung ein Beispiel: Das Lösungsvideo zur Aufgabe wird erst freigeschalten, wenn man die Aufgabe richtig gelöst, oder den Schummel-Badge freigeschalten hat https://campus.oercamp.de/lessons/wofuer-vergibt-man-badges/
Beide Beispiele sind Kombinationen mit den obigen Fragearten, gerade die Materialfreischaltung ließe sich aber auch „puristisch“ umsetzen, indem man direkt danach fragt, was man freigeschaltet haben möchte (bspw. Erläuterungen für Kinder vs. für Erwachsene im Museum).