Am 22.2.2021 hat die Bundesregierung eine „Initiative Digitale Bildung“ vorgestellt. Zahlreiche Akteure aus verschiedenen Bereichen kamen zu Wort, betonten grundsätzliche Veränderungen und stellten konkrete Projekt vor. Hier ein paar Gedanken dazu, die nicht auf das tagesaktuelle Geschäft, sondern auf die größeren Entwicklungen schauen.
1. Und sie bewegt sich doch!
Auf Twitter fehlt es nicht an Beschwerden und Hohn – aber das liegt vielleicht mehr an Twitter als an der Diskussion. Ich bin sehr positiv überrascht, was an Schlagworten, Ideen und Forderungen genannt wurde, was vielleicht einigen Menschen auf Twitter glasklar ist, aber in größeren Debatten bis vor kurzem alles andere als selbstverständlich war. Nur kurz angerissen: Die Kanzlerin spricht davon, dass PDF-Dateien keine wirkliche Transformation ausmachen. Digitale Souveränität wird mehrmals als Ziel genannt; das Schlagwort „Digital Natives“ dagegen fällt gar nicht. Lernen entsteht durch Vernetzung, nicht durch „Nuggets“. Digitale Kompetenzen sind nicht ein zusätzliches Add-On, sondern gehören zu den Grundlagen. Von einem „Mehrwert“ sprach kaum jemand, aber dafür von neuem Lernen und neuer Fehlerkultur. Die Welt verändert sich.
Selbstverständlich muss das alles weiter mit Leben gefüllt und in die Breite getragen werden. Aber insgesamt finde ich die Entwicklung beachtlich. Der Diskurs um „Digitale Bildung“ mag weiterhin aus vielen Schlagworten bestehen. Aber: Die Schlagworte um #digitaleBildung sind schon viel besser als noch vor kurzer Zeit.
2. Vorhandenes und Neues, Offenes und Geschlossenes
Schon ganz zu Beginn betonte Bundesbildungsministerin Karliczek, man wolle „zeigen, was es schon alles gibt, aber auch, wo es noch hingehen soll.“ Das klang locker-flockig, aber dahinter steht ein wesentlicher Punkt: Es gibt schon vieles, was nicht neu erfunden werden muss. Das ist gut. Allerdings wurden die wirklich schwierigen Punkt vermieden: Was ist, wenn in 2023 die beliebteste App zum Lernen nicht von den Volkshochschulen kommt, sondern von ByteDance (die Mutter von TikTok)? Inwieweit werden Projekt gefördert, die Alternativen zu vorhandenen Ansätzen entwickeln wollen? Und wie werden Nachhaltigkeit und Offenheit gesichert?
Das Thema Offenheit war eine markante Leerstelle in den vorgestellten Planungen. Bis zur 121. Minute war zwar von Marktplätzen und Bezahlschranken die Rede, aber von Openness noch gar nicht. Da sind die bildungspolitischen Debatten eigentlich schon weiter, und demnächst soll eine offizielle Strategie der Bundesregierung zu Open Educational Resources (OER) erscheinen. Beim Bündnis Freie Bildung kann man sowohl die Planungen als auch konkrete Forderungen dazu nachlesen. Kurz gesagt: Alles, was mit öffentlichen Mittel finanziert wird, sollte als OER und Open Source bereitgestellt werden, z.B. von der Bundesregierung geförderte Lern-Apps und Lern-Plattformen. Nur so wird ein wirklich offener Zugang und eine nachhaltige Nutzung der Entwicklungen ermöglicht!
3. Eine zentrale Plattform darf nicht zentralistisch sein!
Das mittel- und langfristig größte Vorhaben kam nur kurz vor: Ein „digitaler Bildungsraum“ soll alles bündeln und standardisieren, was in verschiedenen Bildungsbereichen in Deutschland digital passiert. Von Tools, Plattformen und Materialien für den Unterricht über eine zentrale Authentifizierung der Lernenden bis zu einem riesigen Speicher meiner Zeugnisse und Zertifikate.
Je länger man überlegt, was dort alles zusammengeführt werden soll, desto gigantomamischer erscheint das Vorhaben – und desto riskanter. Man muss es wohl dennoch probieren, und sei es nur, damit die öffentliche Hand Alternativen, Handlungsdruck und vielleicht sogar Vorbilder für unternehmerische und zivilgesellschaftliche Ansätze aufzeigt.
Der wichtigste Punkt: Eine zentrale Plattform darf nicht zentralistisch arbeiten! Eine Plattform kann vernetzen und verbinden – aber nicht unter einem zentral organisierten und Dach, dem sich alle unterordnen sollen. Denn 1. würden wesentliche Akteure da einfach nicht mitmachen und 2. ist das in einem so dynamischen Umfeld zum Scheitern verurteilt.
Die Bundesbildungsministerin hat erkannt: „Das wird uns noch auf Jahre und Jahrzehnte beschäftigen.“ Da hat sie Recht. Für die Bildung kommt eine großer Herausforderung hinzu: Die Realität ist sehr kuddelmuddelig. Schaut man sich alleine den Bereich Schule an, so findet man nicht nur höchst unterschiedliche Regelungen und Strukturen, sondern auch zahlreiche Widersprüche und Uneinheitlichkeiten. Wenn man nun diese Realität in einer Online-Plattform abbilden will, wird man schnell grundlegende Probleme bekommen. Denn digitale Systeme können das nicht gut. Man kann nicht sauber abbilden, was nicht sauber strukturiert ist. Das spricht dafür, dass zentrale Ansätze für eine dezentrale und kuddelmuddelige Welt scheitern werden. Aber wie gesagt: Man muss es versuchen.
PS: Untertitel und Gebärden
Der Videostream der Bundesregierung hatte Live-Untertitel und Gebärden-Übersetzung. Das ist toll bzw. eigentlich selbstverständlich. Genau so toll bzw. eigentlich selbstverständlich wäre es, wenn alle von der Bundesregierung geförderten Projekten die Mittel dafür einplanen dürften.
Und hier die Beschreibung zu dem „nicht“ zentralistischen Ansatz:
https://de.slideshare.net/PeterScheffelt/humboldt-2-partner-20130320-18185547
Ist zwar von 2013 aber das steckt dahinter! So ne Art EDU-APP-Store by SAP!
Für Datenbank-Freaks ist auch der my EDU-Zertifikat-Dump nachzulesen!