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Die Kehrseite der Offenheit: Barcamps und Open Educational Resources (OER) erlauben Partizipation durch alle – davon profitieren vor allem „die Lauten“

Die Schieflage von offenen, partizipativen Formaten

Das große Versprechen von offenen Formaten lautet: Sie senken die Hürden für den Zugang. Die gute Nachricht lautet: Das stimmt. Es gibt viele Beispiele, dass Gruppen und Themen bei Veranstaltungen wie Barcamps oder Materialien wie OER auf die Agenda gelangen, die mehr Vielfalt repräsentieren als bei traditionellen Gate-Keeper-Situationen wie Konferenz- oder Verlagsformaten. Die schlechte Nachricht: Manche profitieren davon deutlich mehr als andere Gruppen. These: Es profitieren diejenigen Akteure stärker von gesenkten Hürden, die auch bisher schon über Startvorteile verfügten. Die zusätzlichen Möglichkeiten werden überproportional stark von den „ohnehin lauten“ Akteuren genutzt. Ein Beispiel: Männer.

Grafik 2 zeigt die 35 Einträge, die jeweils mit mehr als 100 Ressourcen im OERsi-Index vertreten sind. Drei Einträge lassen sich mit der genutzten Methode nicht auswerten (1, 15, 28). Es gibt zwei Menschen, deren Vornamen ich weiblich gelesen habe. Ich habe nun die Anzahl der Quellen hinter den roten und hinter den blauen Balken zusammengezählt (7488 bzw. 309) und daraus eine prozentuale Verteilung der Materialien errechnet. Das Ergebnis: 96,04% bzw. 3,96% dieser OER-Materialien lassen sich Männern bzw. Frauen zuordnen.
Grafik aus den Folien zum Vortrag „Der Foliensatz „Heads Ups, hier kommt der Mainstream! Wie OER sich in die Breite schleicht und welche falschen Grundannahmen wir dabei beerdigen müssen“ | CC0  via https://joeran.de/20230426/

Wer geht beim Barcamp nach vorne?

Das Beispiel Barcamp: Beim offenen Format Barcamp können prinzipiell alle Anwesenden ihre Themen einbringen und auf die Agenda setzen. Dafür müssen Menschen einfach nur in der Themenplanung im Plenum nach vorne gehen und das eigene Thema vorschlagen.

Meine These nach subjektiven Beobachtung und anekdotischen Strichlisten-Auszählungen: Es gehen häufig zuerst diejenigen nach vorne, denen das Nach-Vorne-Gehen leichter fällt. Es sind diejenigen, für die es einfacher ist, sich selbst vor eine große Gruppe zu stellen, das eigene Thema und ein Stück weit immer auch die eigene Person zu exponieren.

Ein Beispiel von einem Barcamp aus dem Jahr 2022: 

  1. Gender-Balance unter den Teilnehmenden: deutlich mehr Frauen als Männer anwesend (grob 60-40)
  2. Gender-Balance unter den Sessionanbietenden: deutlich weniger Frauen als Männer aktiv (grob 40-60)
  3. Gender-Balance unter denen, die nach der eigenen Session eine Zusammenfassung in eine Videokamera gesprochen haben: kaum noch Frauen, sehr überwiegend Männer (grob 15-85)

Wer veröffentlicht Open Educational Resources (OER)?

Das Prinzip von Open Educational Resources (OER) ist inzwischen gut etabliert. Es senkt die Barrieren für Zugriff und Nachnutzung von  Bildungsmaterialien. Was wir bisher noch weniger stark bedacht haben: Das OER-Prinzip senkt auch die Hürden für die Veröffentlichung von Bildungsmaterialien. Auch diese Möglichkeit können prinzipiell alle nutzen. De facto werden sie stärker von Gruppen genutzt, die ohnehin nicht unbedingt unterrepräsentiert sind. Ein einfaches Beispiel: Männer.

Ich habe nachgezählt, wie es um die Gender-Balance bei OER-Materialien bestellt ist – explorativ, aber mit einem eindeutigen Ergebnis. Im Index der OER-Suchmaschine OERsi beträgt die Gender-Unbalance der zuzuordnenden Materialien im Bereich Hochschule 96-4.

Mein Vorgehen und die Ergebnisse habe ich bei OERinfo, der Informationsstelle OER veröffentlicht. 

Außerdem habe ich sie in meiner Keynote zu OER beim University:Future Festival (U:FF) 2023 vorgestellt: Heads Up, hier kommt der Mainstream! Wie OER sich in die Breite schleicht (April 2023). Im dritten Teil ab Min 19’06.

2 Gedanken zu „Die Kehrseite der Offenheit: Barcamps und Open Educational Resources (OER) erlauben Partizipation durch alle – davon profitieren vor allem „die Lauten““

  1. “Like” ist hier als Danke für den Zwischenruf zu verstehen. 2 Gedanken dazu.

    Wir veröffentlichten als 8 Frauen & 1 Mann das eBook “Von Analog zu Digital” mit OER Lizenz. Und zwar nach langer Diskussion, weil wir es im Rahmen des MooCamps 2020 entwickelten und schrieben. Einer der Vorbehalte gegen die OER Lizenz war, dass andere die Inhalte dann für ihre kostenpflichtigen Veröffentlichungen nutzen. Warum sollten wir unsere Arbeit kostenfrei bereitstellen?

    Autorinnen oder Bloggerinnen – wer in Care Arbeit eingebunden ist, muss die Prioritäten leider anders setzen. Auch 2023 laden die gesellschaftlichen Verhältnisse die Care Arbeit den Frauen auf, so dass wir hier in keiner Weise von gleichberechtigten Voraussetzungen sprechen können.

    Zumindest was die Sessions auf Barcamps angeht, freue ich mich, dass in den von mir (mit)moderierten Barcamps 100% (webgrrls barrcamp 😎) oder überwiegend Frauen Sessions anbieten (Netzwerkbooster-Event, Barcamp Coworking, VGSD Netzwerktreffen Selbstständige). Für eine erleichterte Dokumentation gestalte ich die Räume so, dass mit den Teilnehmenden zeitgleich oder zeitnah Strichpunkte festgehalten werden. Gebloggt wird immer seltener, da feiern wir jeden Beitrag.

    Herzliche Grüße,
    DoSchu

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