„This is bullshit“, eröffnet Jeff Jarvis seinen Vortrag.
(Das Skript findet sich im Blog Buzzmachine von Jeff Jarvis.)
Jarvis beginnt seinen 15-minütigen Vortrag damit, das Setting zu beschimpfen, in dem er gerade spricht. Dort unten die Zuhörer, er da oben als Dozent. Das erinnere ihn an die Schule bzw. das Bildungssystem im Allgemeinen, ein system built for the industrial age: Alle beschäftigen sich zur gleichen Zeit in der gleichen Form mit der gleichen Frage. Ausgewählt von einem Einzelnen, der die richtige Antwort bereits kennt. Was uns wieder an die alten Medien, z.B. die Zeitung erinnert: one size fits all. Dieses Format müsse man doch nun langsam mal hinterfragen. Vom Internet lernen heißt: questions, challenges, discussion, debate, collaboration, quests for understanding and solutions.
Um fachliche Inhalte zu erarbeiten, brauche es keinen Lehrer mehr. Es gibt hervorragende Materialien frei verfügbar online. Wir lernen die aus Jarvis‘ Buch bekannte Maxime: Do what you do best and link to the rest! Lehrer müssen nicht mit YouTube-Materialien konkurrieren, die den Kapillareffekt erläutern. Sie können einfach das richtige YouTube-Video auswählen. Just as journalists must become more curator than creator, so must educators.
Aber das ist ja noch eine recht kleine Veränderung. Man wechselt die Medien, also wie der Inhalt präsentiert wird. Wenn man ernsthaft daran glaubt, dass die Betroffenen (= die Lernenden) es besser wissen als die Lehrenden, müsste man sie dann nicht auch fragen, was sie lernen wollen? So wie man als Produzent fragt, was die Konsumenten wollen? So we need to move students up the education chain. They don’t always know what they need to know, but why don’t we start by finding out? Instead of giving tests to find out what they’ve learned, we should test to find out what they don’t know. Their wrong answers aren’t failures, they are needs and opportunities.
Stattdessen funktioniert Lernen bei uns so: Wir schauen nur auf den Output, den wir schon am Anfang vorgeben. Am Ende kontrollieren wir, ob die Lernenden unsere Antworten erreicht haben. We tell them our answers before they’ve asked the questions. How useless can we be?
Wer es besser machen will, müsse sich an Google orientieren, wo das Industriezeitalter getrost als überwunden gelten kann und man vermutlich weiß, worum es im 21. Jahrhundert geht: In the real world the tests are all open book. It’s easy to educate for the routine, and hard to educate for the novel. Schule und Ausbildung müssen heute nicht mehr die richtigen Antworten vermitteln. Sie müssen Menschen darauf vorbereiten, neue Lösungen für neue Probleme zu entwickeln. So wie Google. Google sprung from solving problems.
Wie sieht es also aus, das Klassenzimmer der Zukunft? Es muss sich von seinem Fokus auf vorgegebene Inhalte und Settings verabschieden. Stattdessen gilt es, aus dem riesigen Informationspool auszuwählen und die Menschen in interessanten Konstellationen zusammenbringen: the tasks shift from creating and controlling content and managing scarcity to curating people and content and enabling an abundance of students and teachers and of knowledge.
Nach diesem eigentlichen inhaltlichen Höhepunkt läuft Jarvis noch einmal heiß:
We must stop our culture of standardized testing and standardized teaching.
Bildung ist nun mal kein irgendwann fertiggestelltes Produkt. Sondern ein Prozess. Life is a beta.
Mindestens 20% der Arbeitszeit in Schulen müssten (wie bei Google) für eigene Projekt zur Verfügung stehen.
Das Auswendiglernen müsse ein Ende haben.
Nicht mehr Abschlusszeugnisse, sondern Portfolios sagen etwas über uns und unsere Kompetenzen aus.
Und schließlich: The school becomes not a factory but an incubator.
PS: Spätestens bei der letzten Aussage liegt die Ähnlichkeiten zu Reinhard Kahls Arbeiten nahe. Seine Dokumentation „Treibhäuser der Zukunft. Wie Schulen in Deutschland gelingen“ folgt geistig verwandten Pfaden. Und heißt in der englischsprachigen Version (und zwar schon seit einigen Jahren): „Incubators of the Future“
PPS: Wer mehr von Jeff Jarvis will, lese sein Buch „Was würde Google tun?“ oder schaue seinen Vortrag bei der re:publica 2010 über das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatem „The German Paradox – Privacy, publicness, and penises„.
PPPS: Jöran findet diesen Vortrag insofern doppelt spannend, dass Jarvis hier auch die Kompetenz von Jöran und Konsorten beschreibt: curating people and content and enabling an abundance of students and teachers and of knowledge.
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