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Geschichte erleben (wie) im echten Leben

"Illusion der Naehe", cc-by-Lizenz by Jöran Muuß-MerholzJöran hat jüngst einen Artikel für ein Buch des Goethe-Instituts geschrieben, den im folgenden dokumentiert ist.

Erstabdruck in “Illusion der Nähe. Ausblicke auf die Europäische Nachbarschaft von morgen”, herausgegeben von Christoph Bartmann, Carola Dürr und Klaus-Dieter Lehmann für das Goethe-Institut, Göttingen (Steidl) 2011, S. 151-159.

Geschichte erleben (wie) im echten Leben: Geocaching und mobile Apps

Das Verschmelzen von Nähe und Distanz, von gestern, heute und morgen

Ein Smartphone in der Tasche und damit eine allgegenwärtige Verbindung mit dem Internet – was bedeutet das für unser Verhältnis zu Raum und Zeit? Im digitalen Raum werden geografische und nationale Grenzen weitgehend bedeutungslos1. Dort ist prinzipiell alles gleich weit voneinander entfernt beziehungsweise gleich nah beieinander: Ob ein Inhalt aus dem Nachbarhaus, aus einer anderen Stadt, einem anderen Land oder einem anderen Kontinent2 stammt – alles ist immer einen Klick weit entfernt und der (an das Internet angeschlossenen) Weltöffentlichkeit zugänglich.

Schon eine einfache Unterhaltung von zwei Menschen ändert sich durch ein Smartphone grundlegend. Konversationen wie wir sie bisher kennen, sind stärker von Unklarheiten gekennzeichnet, als uns im Allgemeinen bewusst ist. Man mutmaßt über das Wetter, tauscht Einschätzungen über das Fußballspiel vom Vortag aus, erzählt vom Urlaub eines gemeinsamen Bekannten, kritisiert die ungerechte Schulnote der Tochter oder die Wankelmütigkeit der gewählten Regierungspartei. Durch Digitalisierung und allgegenwärtige Vernetzung sind genaue Fakten sowie Einschätzungen Dritter zu vielen dieser Themen jetzt auf Knopfdruck verfügbar. Über das Wetter braucht man nicht mehr zu spekulieren, wenn man via Internet das Regenradar abrufen kann. Die strittige Szene aus dem gestrigen Fußballspiel lässt sich bei YouTube abrufen und die Kommentare von Hunderten von Fans gleich dazu. Der gemeinsame Bekannte twittert aus dem Urlaub sekundenaktuelle Fotos, die man gemeinsam bestaunen kann. Ob der Lehrer Fakten im Referat der Tochter berechtigt kritisiert hat oder nicht, lässt sich durch einen Blick auf Wikipedia herausfinden. Und die Aussagen einer politischen Partei aus dem letzten Jahr lassen sich ganz einfach nachlesen.

„Ich guck das mal schnell nach“ ist ein gängiger Satz für diejenigen geworden, die Wikipedia und Google in der Hosentasche mit sich tragen. Informationen, Einschätzungen und Erinnerungen kommen in einer Gesprächssituation nicht mehr (nur) aus dem eigenen Kopf, sondern können gleichzeitig aus der ganzen Welt ab gerufen werden. „A hole in the wall“ nennt das der Medientheoretiker Torsten Meyer in Bezug auf die Situation des Klassenzimmers – ein Bild, das sich auch auf andere Situationen übertragen lässt: In einem ehemals klar umgrenzten Raum werden die Mauern durchlässig und es dringt plötzlich die Welt von außen ein. Umgekehrt gelangen Momente aus dem Raum hinaus in die Öffentlichkeit, wenn die eigene aktuelle Lage in die Welt gesendet wird. Facebook und Twitter ermöglichen Statusmeldungen von „Habe gerade Käsenudeln zum Mittagessen mit der Kollegin“ oder „Lese den aktuellen Spiegel“ bis hin zu „Vor meinem Fenster ist gerade ein Flugzeug auf dem Hudson gelandet“. Fotos aus dem Fußballstadion, der Ton vom Konzert oder ein Video von der Demo lassen sich live an die ganze Welt schicken.

Ein Smartphone sprengt also den Raum auf, in dem wir uns befinden. Es verändert die Wahrnehmung von Nähe und Distanz zu den Mitmenschen, zum gefühlten Nachbarn wird derjenige, mit dem ich Informationen teile, und befinde er sich auch am anderen Ende der Welt.

Auch die zeitlichen Grenzen weichen auf, denn das Netz bewahrt das Jetzt für die Zukunft auf. Meine Meldungen bei Twitter oder das spontane Foto sind in der Regel noch länger verfügbar, als ich mich selbst daran erinnere. Umgekehrt kann ich jederzeit auf eine in der Menschheitsgeschichte bisher ungekannte Menge an Informationen aus der Vergangenheit zugreifen. Damit wird ein Stück Science-Fiction wahr: Wir überwinden Raum und Zeit3. Was das für unser Miteinander bedeutet, müssen wir erst noch lernen und gestalten. In jedem Fall birgt es ein großes Potenzial für die Bildungsarbeit, zum Beispiel für eine unterhaltsame Vermittlung von Geschichte, möglicherweise sogar im grenzüberschreitenden Vergleich. Ein Beispiel hierfür ist das Geocaching.

Haben Sie schon einmal Menschen gesehen, die Geocaching betreiben? Ganz sicher! Vielleicht haben Sie es nur nicht bemerkt: Millionen von Menschen laufen unauffällig durch diese Welt und suchen nach Orten, an denen kleine „Schätze“ versteckt sind. Alleine auf der größten Plattform geocaching.com sind weltweit mehr als 1,5 Millionen Geocaches gelistet, davon circa 200000 in Deutschland. Was ist Geocaching und wie lässt es sich für geschichtsbezogene Bildungsarbeit produktiv nutzen? Beginnen wir im Allgemeinen und nähern uns dann dem Besonderen…

Von wegen Cyberspace: digitaler Raum im echten Leben

Bildung und Kultur sind Bereiche, für die der Einsatz digitaler Medien faszinierende Möglichkeiten bietet. Und doch gehören sie zu denjenigen Domänen, die sich der digitalen Welt mit Argwohn nähern. Weniger zurückhaltend ausgedrückt: Man findet angesichts der Digitalen Revolution „eine bewahrpädagogische Duldungsstarre der etablierten Institutionen in Medien, Bildung, Kultur und Politik, nicht überall, aber doch nicht zu übersehen“. So attestiert es Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Krüger kritisiert die „geistigen gerontokratischen Verhaltensmuster“ ob eines „Stolzes auf die eigene Überforderun“4.

Nun mag man darüber streiten, wie stark Krügers Tobak ist, oder ob die kritisierten Institutionen beziehungsweise deren Akteure erst alle „Standardsituationen der Technologiekritik“5 durchlaufen müssen, die vor der Akzeptanz neuer Kommunikationstechnologien stehen. Demnach könnte erst dann, wenn Medien nicht mehr als neue Medien wahrgenommen werden, die Diskussion um sie sachlicher und differenzierter werden. Auf jeden Fall wird man hinter der Debatte ein zentrales Missverständnis des Diskurses finden: Die digitale Welt ist zwar „neu“ und wird durch den rasanten Wandel auch auf absehbare Zeit „ständig neu“ bleiben. Sie ist aber keineswegs eine „Parallelwelt“ oder eine „Bonuswelt“. Und sie ist erst recht keine „virtuelle Welt“, die dem „echten Leben“ gegenübersteht. Gerade für jüngere Menschen – aber auch für Menschen jeglichen Alters, die sich auf die digitale Welt einlassen – sind Online- und Offline-Welt keine sich ausschließenden Gegensätze, sondern gehören zusammen. Die digitalen Medien sind integriert in die „alte Welt“ – und verändern sie damit.

Die Digitale Revolution verändert Arbeit und Freizeit, unser Kommunikationsverhalten, unser Verständnis des Wortes „Freund“, die Musik- und Filmindustrie, die Verbrechensbekämpfung, die Partnerfindung, die Politik, den Krieg, die Geschäfte von Reisebüros und Buchhandel. Die erste Stufe der digitalen Revolution war die Verbreitung von Computern. Als zweite kam das Internet dazu. Und als eine für den Alltag vielleicht noch bedeutungsvollere steht jetzt die dritte Stufe der Revolution an: das allgegenwärtige Internet.

Smartphones wie das iPhone sind eigentlich Computer, mit denen sich auch telefonieren lässt. So wie man vorher größere Anstrengungen unternehmen musste, wenn man ein Handy ohne Kamera kaufen wollte, wird es 2012 Standard sein, dass ein Handy nicht nur ein Telefon ist, sondern ein Computer mit allgegenwärtigem Internetzugang, GPS-Ortung und -Navigation, HD-Kamera und großem Display.
Unterstützt wird diese Entwicklung auch durch die massive Verbreitung von Tablet-PCs. Die digitale Welt ist nunmehr nicht nur vom Schreibtisch aus zugänglich, sondern immer und überall dabei. Der digitale Raum aus Bits und der materielle Raum aus Atomen werden sich viel stärker miteinander verbinden. An diesem Scharnier aus „realer Welt“ und digitalen Medien lassen sich nun Bildungsangebote ansetzen. Für Geocaching braucht es dabei noch nicht einmal zwingend ein Smartphone, ein GPS-Empfänger, mit dem ich meine Position bestimmen kann, tut es auch.

Was ist Geocaching und wie funktioniert es?

Geocaching, bisweilen auch „GPS-Schnitzeljagd“ genannt, gleicht einer elektronischen Schatzsuche: Irgendwo auf der Welt (Geo) ist ein Schatz (Cache) versteckt. Suchende erfahren über eine Website (z.B. geocaching.com) die Geokoordinaten des Verstecks und machen sich mit einem GPS-Empfänger oder einer Karte auf die Suche nach dem Schatz, meist eine mehr oder weniger kleine Plastikbox. Inzwischen sind in großen Teilen der Welt in Natur oder Zivilisation weit über 1,5 Millionen solcher Caches versteckt. In Innenstädten finden sich alle 200 Meter solche Verstecke, aber auch Wälder und Autobahnraststätten sind voll davon.

Ein Schnellkurs in neun Schritten:

  1. Jemand – nennen wir die Person Leo – versteckt irgendwo auf der Welt etwas – sagen wir: eine Tupperbox.
  2. Leo notiert sich die geografischen Koordinaten dieses Ortes, zum Beispiel N 53° 33.295 E 009° 58.078.
    Leo veröffentlicht diese Koordinaten im Internet.
  3. Eine andere Person – sagen wir mal: Neo – liest davon im Internet.
  4. Neo gibt diese Koordinaten in ein GPS-Gerät ein (quasi ein Navi für Fußgänger).
  5. Neo begibt sich an den Ort zu diesen Koordinaten. Das GPS-Signal ist auf ungefähr
    5 bis 15 Meter genau.
  6. Neo sucht in der Nähe dieser Koordinaten die Tupperbox.
  7. Neo hinterlässt eine Nachricht „ich war hier“ in der Tupperbox, und – ganz wichtig
    – legt sie wieder zurück in das Versteck.
  8. Neo geht noch einmal auf die Website und hinterlässt auch dort eine Nachricht „ich habe den Cache gefunden“ und vielleicht noch einige Worte zusätzlich (LogbuchEintrag/
    loggen).

So weit, so simpel die Grundidee. Ganz banal gestaltet sich das Geocaching in der Praxis jedoch nicht immer. Der Versteckende (der „Owner“ des Caches) veröffentlicht in der Regel nicht nur die Koordinaten, sondern eine mehr oder weniger ausführliche Cachebeschreibung, häufig mit Hintergrundinformationen und Fotos zur Umgebung. Die Suchenden müssen häufig bei der Schatzsuche kleine Rätsel lösen, um die Koordinaten des Ziels herauszufinden. Oder die Suche erstreckt sich über mehrere Stationen („Multicache“), an denen jeweils Rätsel anstehen. Auch das Suchen selbst ist insofern nicht trivial, als die Koordinaten zwar den Umkreis anzeigen, aber weder den Weg dorthin noch das genaue Versteck. Zusätzlich wird das Geocachen dadurch erschwert, dass Geocacher sich so unauffällig verhalten sollten, dass ahnungslose Passanten ihre Aktivität nicht bemerken. So kann aus der einfachen Grundidee bisweilen ein größeres Projekt werden, bei dem die Suchenden Fähigkeiten von Sherlock Holmes und Indiana Jones verbinden müssen.

Geocaching in der Bildungsarbeit

Durch die Welt laufen, sich orientieren, ein Ziel suchen und hoffentlich finden. So sieht Geocaching aus. Und es ist eine schöne Definition von Bildung. Dabei darf jedoch nicht vorausgesetzt werden, dass jeder Geocache sich explizit als Bildungsangebot versteht. Im Gegenteil: Meistens ist das Geocaching Selbstzweck. „Nebenbei“ lernt der Suchende etwas über seine Umgebung und – je nach Ausführlichkeit und Ausrichtung der Cachebeschreibung – deren Hintergründe.

Die Beschäftigung mit dem Ort führt dabei quasi „nebenbei“ zum Lernen. Das kann an Orten geschehen, die dem Suchenden eigentlich vertraut sind. Eine typischer Eintrag im Logbuch lautet dann zum Beispiel: „An diesem Ort gehe ich jeden Tag vorbei, aber über die Geschichte wusste ich bisher noch nichts…“ Umgekehrt nutzen Geocacher ihr Hobby auch oft, um unbekannte Orte kennenzulernen, zum Beispiel bei Ausflügen, Reisen oder nach einem Umzug. Die Erkundung der (noch) fremden Umgebung mittels Geocaching ermöglicht Einblicke nicht nur auf touristischer Ebene, sondern auch in die Alltags- und Lebenswelt, in die Geschichte(n) hinter den Dingen. Immer häufiger trifft man auch auf explizit zum Lernen erstellte Geocaches („Educaches“), zum Beispiel im Biologie- oder Geschichtsunterricht, aber auch in anderen Bereichen. Educaches können sich zum Beispiel an Schul- oder Exkursionsgruppen richten oder an eine nicht näher definierte Zielgruppe, die den Cache über zentrale Plattformen wie geocaching.com oder opencaching.de finden6.

Aus der Perspektive einer Geschichtsdidaktik kann Geoaching ein Weg sein, Vergangenheit und Gegenwart über den gemeinsamen Ort miteinander zu verbinden. Geschichte wird durch die Verbindung von eher abstrakten Informationen mit konkreten Orten erlebbar und und rückt so näher an die Lebenswelt der Lernenden heran. Der Ort zur Geschichte existierte damals und existiert heute noch, so wird Kontinuität sichtbar. Durch den Ort entsteht eine Verbindung, die eine Brücke über die zeitliche Distanz schafft. Einen Geocache kann ich in einer fremden Stadt machen, ohne dort Menschen oder die Umgebung schon zu kennen. Er ist damit ein sehr niedrigschwelliges Angebot, Nähe zu schaffen, sich mit einem fremden Ort auseinanderzusetzen.

Die Beschäftigung mit dem Geocaching kann dabei auch über die suchende Rolle hinausgehen: Da alle Geocaches nicht von einer „Zentrale“, sondern von jedermann entwickelt werden, kann die Erstellung eines Geocaches selbst zum Projekt von Bildungsarbeit werden. Bei dieser „Königsdisziplin“ ist eine tiefere Beschäftigung mit einem Ort, seiner Umgebung und seiner Geschichte unumgänglich – und aller Erfahrung nach durchaus motivierend. Im Folgenden sollen zwei bereits durchgeführte Geocaches zu historischen Themen als Beispiele dienen.

Beispiel Düsseldorf: Große Politik am Rheinufer und Landtagsgeschichte(n)

In Düsseldorf kann man sich mit zwei Multicaches auf die Spuren der Demokratie in Nordrhein-Westfalen begeben. Im Rahmen der Tour „Landtagsgeschichte(n)“ wird man zu den vier Standorten geführt, an denen der Düsseldorfer Landtag seit seinem Bestehen gearbeitet hat. Man erfährt, wohin und warum das Parlament immer wieder umziehen musste: von der teilzerstörten Oper bis zum spektakulären Neubau, vom improvisierten Schlafplatz in der Eckkneipe bis zum feudalen Ständehaus. Die Tour „Große Politik am Rheinufer“ verbindet vier Orte unterhalb des Rheinturms, an denen entscheidende Weichen für die Landesgeschichte in Nordrhein-Westfalen gestellt wurden. Nazi-Funktionäre, britische Offiziere, Bundespräsidenten und sogar der „Kanzlerkandidat“ Horst Schlämmer – sie alle waren dabei.

Beide Multicaches sind so angelegt, dass es Koordinaten zu jeweils vier Stationen gibt. An jedem Ort liegen kompakte Informationen zur Einordnung und eine Frage, beispielsweise: „Eine Gedenktafel rechts vom Haupteingang des Opernhauses weist auf den ersten ‚Ernannten Landtag‘ hin. Wie viele Mitglieder hatte er?“ oder: „Die Statue von Johannes Rau hat eine Gedenkplakette zu seinen Füßen. Gesucht werden die beiden letzten Stellen des Jahres (19xx), in dem er zum ersten Mal Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen wurde.“ Die Lösungen der vier Stationen müssen in einer vorgegebenen Reihenfolge zusammengesetzt werden und ergeben dann die Geokoordinaten,
an denen der Cache versteckt ist.

Zu jeder Station gibt es zusätzliches Hintergrundmaterial in Form von Informationen, Originaltexten, Fotos und weiterführenden Links. Die Cachebeschreibung wurde sowohl im Rahmen der gängigen Plattformen digital als auch für Schulen als gedruckte Broschüren bereitgestellt7.

Beispiel Berlin: auf den Spuren von Martin Luther King

Ein anderes Beispiel baut auf einer Geschichte auf, die unter dem Titel „Let my people go” von Stefan Appelius bei einestages8 und chrismon veröffentlicht wurde. 1964 fuhr Martin Luther King unangekündigt von West- nach Ost-Berlin. Der Bürgerrechtler predigte spontan in Kirchen vor DDR-Bürgern für die Freiheit. Der Diplom-Pädagoge Guido Brombach9 hat aus der Geschichte einen Multicache entwickelt, der zu den Schauplätzen des Geschehens führt und dabei eine außergewöhnliche Geschichte erzählt.

Dieser Cache war in drei Varianten verfügbar: Eine Smartphone-Version nutzte nicht nur die GPS-Funktion und den Internetzugang, sondern auch die Möglichkeit eines Smartphones, vor Ort zu entdeckende Barcodes über die Kamera einzulesen und daraus Informationen zu gewinnen. Eine GPS-Version war auch nur mit einem GPS-Empfänger zu bearbeiten. Und schließlich gab es eine Papier-Version, bei der alle Informationen ausgedruckt und die Stationen mithilfe einer Karte zu finden waren.

Mobile Apps

Die für die Geocaches notwendige und in naher Zukunft voraussichtlich auch weitgehend übliche Ausrüstung von Smartphones mit GPS-Ortung und -Navigation stellt nur eines der neuen digitalen Elemente dar, die für die Bildungsarbeit eingesetzt werden können, und bildet wohl erst den Anfang. Auf Smartphones und Tablet-PCs können sehr unkompliziert zusätzliche Programme installiert werden, die sogenannten „Apps“ (applications) oder „mobile Apps“. Es gibt zum Beispiel Apps für das Geocaching, die die Vorbereitung und Nachbereitung am Schreibtisch ersetzen. Hier lassen sich zunächst Caches in der aktuellen Umgebung oder an einem bestimmten Ort anzeigen. Nach der Auswahl eines Caches kann die Beschreibung gelesen und zu den angegebenen Koordinaten navigiert werden. Einen erfolgreichen Fund vorausgesetzt, kann auch das Loggen gleich über die Apps erfolgen, wenn gewünscht inklusive Foto, das natürlich auch mit dem Smartphone aufgenommen wurde.

Der nächste Schritt sind Entwicklungen, die sich vom Konzept des Geocachings im engeren Sinne lösen. Um einen Ort und seine Geschichte kennenzulernen, müssen nicht zwangsläufig Verstecke gefunden und Rätsel gelöst werden. Auch der direkte Weg zum Ziel ist denkbar, zum Beispiel als digitaler Reiseführer. Eine solche App erkennt meinen Aufenthaltsort und stellt Informationen zum Ort zur Verfügung. Das muss sich nicht auf Texte beschränken, denn ein Smartphone kann genauso gut Fotos und Videos anzeigen. So lässt sich zum Beispiel am Brandenburger Tor historisches Material des Ortes anzeigen.

Auch interaktive Führungen sind denkbar: Die App führt dann zu interessanten Orten und verbindet die Orte nicht nur mit Informationsmaterial, sondern auch mit Aufgaben. Das kann im einfachen Fall ein Quiz sein, aber auch Rollenspiele, Rechercheaufgaben
und anderes sind machbar. Eine Aufgabe kann zum Beispiel lauten: „Hier ist ein historisches Foto dieses Ortes. Finde die Perspektive, aus der das Foto aufgenommen wurde und mache von dort aus ein Foto vom heutigen Ort.“

Solche Apps können der eigenständigen Beschäftigung mit dem Ort dienen. Sie können aber auch für die Arbeit in institutionellen Settings eingesetzt werden, zum Beispiel wenn die erstellten Fotos zum Anlass für eine tiefer gehende Beschäftigung mit dem Thema genommen werden.

Ausblick: Augmented Reality

Gerade erst beginnt die Gesellschaft, die großen Veränderungen zu begreifen, die das Internet mit sich bringt, da steht schon die nächste Stufe ins Haus: Mit der Allgegenwart des Internets über Telefone mit Computerleistungen, der Abbildung der Welt durch Dienste wie Google Streetview und der Verbindung durch ortsbasierte Informationen legt sich eine Folie von Informationen über unsere Welt. Diese lassen sich zum Beispiel über Smartphones sichtbar machen. Das Smartphone kennt meinen Standort, die Ausrichtung des Geräts, den Inhalt, den seine Kamera auf das Display überträgt und „weiß“ damit, was ich gerade auf dem Display (und darüber hinaus) sehe. Unter dem Stichwort „Augmented Reality“ gibt es bereits Anwendungen, die dieses Bild der Welt mit zusätzlichen Informationen überlagern. So kann beispielsweise die Berliner Mauer über dem Bild eingeblendet werden, das ich im heutigen Berlin sehen kann. Geschichte und Gegenwart werden zu virtuellen Nachbarn.

Diese Technik steht noch am Anfang. Die Entwicklung vollzieht sich aber so schnell, dass wir eher heute als morgen beginnen sollten, uns damit auseinanderzusetzen.

Fazit

Angesichts der rasanten Entwicklung erledigen sich viele technikbezogene Einwände in Richtung „das ist nicht verbreitet genug“, „das ist zu teuer“ oder „das funktioniert aber noch nicht gut genug“ eher binnen Monaten als binnen Jahren. Im Zuge der Überlegungen, wie eine moderne Darstellung von Geschichte im Hinblick auf die Annäherung von Erinnerungskulturen gestaltet werden soll, sollte man auch über immer neue Möglichkeiten ihrer technischen Vermittlung nachdenken, möchte man junge Menschen mit den historischen Inhalten erreichen. Die Experten einschlägiger Bildungsarbeit sollten inhaltlich und didaktisch sinnvolle Möglichkeiten des Einsatzes dieser digitalen Vermittlungsformen erproben, auch wenn es an vielen Ecken noch nicht perfekt läuft. Ziel dieser Experimente (und in diesem Stadium befindet sich diese Vermittlungsform durchaus noch) sollte dabei sein, der inhaltlichen Vermittlung nicht nur ein neues technisches Mäntelchen umzuhängen, sondern die sich rasant entwickelnden, zunehmend interaktiv funktionierenden digitalen Medien in ihrer Flexibilität, Mobilität und (Sprach-)Grenzen überwindenden Qualität tatsächlich als inhaltlich und didaktisch sinnvolle Möglichkeiten für neue Vermittlungsformate zu erkennen. Gerade wenn digitale Werkzeuge in das „echte Leben“ eingebettet sind, erweitern sie den Spielraum, um Anlässe zur Beschäftigung mit Orten und deren Geschichte(n) zu schaffen.


Erstabdruck in „Illusion der Nähe. Ausblicke auf die Europäische Nachbarschaft von morgen“, herausgegeben von Christoph Bartmann, Carola Dürr und Klaus-Dieter Lehmann für das Goethe-Institut, Göttingen (Steidl) 2011, S. 151-159.

  1. Möglicherweise lässt sich das bald angesichts der rasanten Fortschritte bei der Entwicklung von Übersetzungssoftware teilweise auch für sprachliche Grenzen sagen.
  2. Nicht einmal die Erdoberfläche setzt die Begrenzung, was das Beispiel der twitternden Astronauten Soichi Noguchi und Douglas Wheelock zeigt.
  3. In die Zukunft reisen – das funktioniert auch im digitalen Raum nicht. Allerdings gilt es im Blick zu behalten, dass im Digitalen auch ein Stück von uns in die Zukunft reist: Informationen, die wir heute online veröffentlichen, werden in der Regel auch noch in zwei Jahren, wahrscheinlich auch noch darüber hinaus, für die Weltöffentlichkeit verfügbar sein.
  4. „Für eine Renaissance der öffentlichen Kultur“ – Rede von Thomas Krüger in Berlin am 09.06.2011 zur Eröffnung des 6. Kulturpolitischen Bundeskongress 2011 netz.macht.kultur – Kulturpolitik in der digitalen Gesellschaft. Verfügbar unter: http://pb21.de/2011/06/offentliche-kultur-in-der-digitalen-gesellschaft (abgerufen am 14.07.2011).
  5. Kathrin Passig, „Standardsituationen der Technologiekritik“, in: Merkur 727, 2009. Verfügbar unter: http://www.eurozine.com/articles/2009-12-01-passig-de.html (abgerufen am 31.7.2011).
  6. In diesem Fall entstehen Bildungsangebote mit einer außergewöhnlichen Eigenschaft: Es sind informelle Angebote mit Rückkanal. Über die Log-Einträge auf der Website erfährt der Ersteller nicht nur, wie viele Menschen das Angebot nutzen, sondern bekommt auch kurze qualitative Rückmeldungen.
  7. Entwickelt wurden die Touren im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung NRW durch den Autor dieser Zeilen. Weitere Informationen: http://www.joeran.de/geocaching-goes-politische-bildung (abgerufen am 14.07.2011).
  8. Verfügbar unter http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/4946/_let_my_people_go.html (abgerufen am 10.07.2011).
  9. Verfügbar unter http://www.dotcomblog.de/?p=1632 (abgerufen am 14.07.2011). Auf der Website von Guido Brombach ist auch eine pdf-Anleitung „Educaching“ verfügbar: http://www.dotcomblog.de/?page_id=228 (abgerufen am 14.07.2011).