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Das Uneigentliche des Lernens. Was lernen wir ‚drumherum’?

Ein Lehrbuch (Symbolbild)

Was lernen wir eigentlich im Studium?

Ich traf E. wieder. Sie erinnerte sich daran, dass wir 1999 an der Uni zusammen in einer Lerngruppe waren. Wir erinnerten uns gemeinsam:

  • Wir wissen noch, dass die Lerngruppe nett war.
  • Wir wissen noch, wie der Professor hieß, der die Vorlesung zur Lerngruppe hielt.
  • Wir wissen noch, wie der Hörsaal aussah (und roch).
  • Wir wissen noch, was das Thema der Vorlesung, der Lerngruppe und der entsprechenden Klausur war.
  • Wir wissen noch, dass wir das entsprechende Lehrbuch des Professors kaufen mussten – und zwar unbedingt in der neuesten Auflage.
  • Wir wusste noch, wie das Buch aufgebaut war.
  • Wir wissen noch, dass das Kapitel „Computer“ sehr kurz war und dass dort vor allem stand, dass ein Computer 3.000 Mark kostet.
  • Wir wissen nichts mehr über das, was auf den anderen Seiten des Buches stand, in der Vorlesung vorgetragen wurde oder in der Klausur abgefragt wurde.

Ende der Geschichte. Es folgen zwei Gedanken, die mich dazu beschäftigten.


„Die Hochschule lässt sich nicht komplett digitalisieren!“

Wir sprechen viel über „die digitale Hochschule“. Eine zentrale Frage in solchen Diskussionen lautet: Was lässt sich an Hochschule NICHT digitalisieren? Wenn man jede einzelne Komponente anguckt, so kommt man zu dem Schluss: (Fast) jede einzelne Komponente lässt sich digital abbilden. Aber offenbar nicht die Hochschule als Ganzes. Warum nicht? Weil das Ganze die Summe seiner Teile übertrifft? Oder weil etwas gibt, was ZWISCHEN den Teilen liegt?


„Man kann nicht ohne Inhalt lernen?“

Anderer Gedanke, jetzt an die Kritiker der Kompetenzorientierung bzw. die Bewahrer des Fachwissens. Sie sagen gerne: „Man kann nicht isoliert, ohne einen Inhalt lernen. Das Fachwissen ist der Kern.“ Damit kritisieren sie die Kompetenzorientierung. Vom Argumentationsmuster her verwandt sind die Kritiker der Prozessorientierung: „Der Prozess ist wichtiger als der Inhalt? Haha, nein, letztlich kommt es auf dem Inhalt an, und einen Prozess ohne Inhalt gibt es auch nie!“

Das stimmt. Aber umgekehrt gilt auch: „Man kann nicht isoliert ein Fachwissen lernen, ohne dass man das  ‚Drumherum’ auch lernt.“ Und vielleicht ist das, was wir an ‚Drumherum’ lernen, wirkmächtiger als der Kern. Vielleicht ist das Uneigentliche größer als das Eigentliche des Lernens.

3 Gedanken zu „Das Uneigentliche des Lernens. Was lernen wir ‚drumherum’?“

  1. Ich schlage statt des nicht sehr nützlichen „Inhalts“ den Begriff Gegenstand (des Lernens ) vor. Dann ist auch klar, dass man verknüpft mit den Gegenständen (und Problemen) eines Faches oder einer Domäne auch die Methoden und Prozeduren einer Fachwissenschaft lernt und lernen muss. Wenn es sinnvoll läuft, werden diese Methoden explizit und damit sowohl wiederholbar (an neuen Gegenständen) als auch kritisierbar gemacht. Es ist unerquicklich, diese beiden gegeneinander auszuspielen, denn sie bedingen sich gegenseitig und werden also beide gleichermaßen gebraucht.
    2. Prozess ist vs Ergebnis (nicht vs „Inhalt“)
    Beides ist wichtig, aber auf verschiedenen Ebenen. Der Lernprozess ist deswegen so wichtig, weil an ihm -gesetzt, er wird explizit und dann reflrktiert – das berühmte Lernen lernen stattfinden kann. Das Ergebnis, weil es konkret diskutierbar ist, infrage gestellt werden und als vorläufig markiert, zu neuen Fragen führen kann, die neue Lernprozesse in Gang setzen. Es gibt keine Prozesse ohne Ergebnisse (wie rudimentär oder unbefriedigend auch immer), und es gibt keine Ergebnisse ohne Prozesse , von deren Qualität jene direkt abhängen.

  2. Bleibt die Frage, ob Bildungsstandards sich an Inhalten/Gegenständen orientieren sollten, die wichtig für die Arbeitswelt sind oder die die Kompetenz als solchen besonders gut fördern.

  3. Na beides, ich dachte, es wäre klar geworden, dass man das nicht entweder-oder verstehen kann. Und außerdem: Bildung im ersten Sektor ist Allgemeinbildung, nicht Ausbildung. Und hat sich darum nicht nur an den Bedarfen der „Arbeitswelt“, sondern vor allem an denen der gesamten Gesellschaft und an den Bedürfnissen der Lernenden auszurichten. Wir leben nicht, um der „Arbeitswelt“ (gemeint sind wohl die Firmen) zu dienen, sondern unserem Leben selbst und dem unserer Gattung.

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