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Shift happens – Was Web 2.0 für Gesellschaft und Bildung bedeutet

Folgenden Text erscheint in der (Print-(only))Zeitschrift „Praxis Politische Bildung“ als Leitartikel für das Themenheft „Web 2.0 und politische Bildung“. Jöran hat ihn geschrieben.

„Shift happens“
Wir erleben eine grundlegende kulturelle Transformation.

Erinnern Sie sich noch an 2001? George W. Bush wird 43. Präsident der USA, die am 11. September durch Terroranschläge erschüttert werden. Euro-Starterkits kosten 20 DM. Slobodan Milošević wird ausgeliefert, Klaus Wowereit Bürgermeister von Berlin. BSE, Maul- und Klauenseuche erschrecken die Konsumenten. Die Gewerkschaft Ver.di wird gegründet. Die Raumstation Mir verglüht über dem Pazifik. Kofi Annan bekommt den Friedensnobelpreis. Der Schiefe Turm von Pisa wird wiedereröffnet. Das meistverkaufte Album des Jahres kommt von Robbie Williams. Bayern München ist Fußballmeister, Michael Schumacher Formel-1-Weltmeister. Das ist noch keine 10 Jahre her.

Im Mai 2001 wurde die 21. Auflage der Brockhaus-Enzyklopädie angekündigt. Zeitgleich wurde der allererste Artikel der deutschsprachigen Wikipedia verfasst.1

Google hatte gerade seine ersten Anzeigen verkauft. An 350 Kunden.2 Heute ist Google die wertvollste Marke der Welt.3

Und bearbeitet mehrere Milliarden Suchanfragen. Pro Tag.4 (Wer hat diese Fragen vor 10 Jahren beantwortet?)

2005: George W. Bush tritt seine zweite Amtszeit an. Benedikt XVI. wird zum neuen Papst gewählt. Robbie Williams steht wieder an der Spitze der Charts, Bayern München wird wieder Meister. Die 21. Auflage des Brockhauses geht in Druck. Es wird die letzte gedruckte Auflage sein5, denn die Wikipedia hat inzwischen andere Nachschlagewerke in Sachen Quantität wie Qualität überflügelt.6

2005 wird YouTube gegründet. Heute werden täglich 1 Milliarde Videos bei YouTube abgerufen.7 Pro Minute kommen durch die Nutzer 20 Stunden neues Videomaterial hinzu.8

Das Soziale Netzwerk Facebook beschränkt seinen Nutzerkreis 2005 noch auf ausgewählte US-Hochschulen. Erst ein Jahr später öffnet es seine Seiten für alle Interessierten. Heute sind dort 350 Millionen Nutzer aktiv. Die Hälfte von ihnen mindestens täglich.9 Alleine in Hamburg sind 500.000 Menschen registriert.10

Apple nimmt 2005 Podcasts in seine Software iTunes auf und ermöglicht damit jedem Nutzer, eigene Radiosendungen (und bald auch Videosendungen) weltweit zu verbreiten. Ein Jahr später ist Angela Merkel die erste Regierungschefin weltweit, die das Medium nutzt.11

Blogs werden Mitte des Jahrzehnts zu einem Massenphänomen. Die meistgelesenen Blogs in Deutschland verzeichnen heute 10.000 bis 100.000 Besuche. Pro Tag.12 Das sind jeweils ungefähr so viele Leser wie taz oder Financial Times Deutschland an verkaufter Auflage ausweisen.13

Jack Dorsey erfindet den Dienst Twitter, über den sich heute Millionen Menschen weltweit vernetzten, um sich via Kurznachrichten, tweets genannt, über ihr Mittagessen oder den Aufstand in Teheran auszutauschen. Tweet wird 2009 in den USA zum Wort des Jahres gewählt.14

Das ist Web 2.0.

In wenigen Jahren haben diejenigen Internetdienste die Medienwelt revolutioniert, die aus der Aktivität ihrer Nutzer leben. Selbstverständlich wird auch Web 2.0 immer noch und überall konsumiert. Aber es ist genauso selbstverständlich, dass Menschen ihre eigenen Inhalte veröffentlichen. Sie teilen ihre Erlebnisse, Erfahrungen, Gedanken, Meinungen, Banalitäten und Kunstwerke mit anderen, mit Freunden und der gesamten Welt.15 Im Web 2.0 ist das Internet nicht mehr nur Informations- und Kommunikationsmedium, über das wenige Produzenten senden, sondern vielmehr eine Plattform für den Austausch geworden. Oder anders gesagt: Das Internet, das noch vor zehn Jahren zum Nur-Lese-Medium zu werden drohte, hat sich (wieder) zum Lese-und-Schreibe-Medium gewandelt. Dieser Wandel ist nicht nur ein technischer Wandel. Es ist ein grundlegender Wandel in Kommunikation und Kultur.16

Selbstverständlich ist nicht alles im Web 2.0 politisch. Das Web 2.0 bildet die gängigen menschlichen Themen ab und da überwiegen Banalitäten, Essen, Musik, Freunde, Einkaufen, Fernsehen, Krankheit, Wetter, Computer, Krawall, Fußball und Sex.17 Es ist aber von grundlegender Bedeutung für eine Gesellschaft, ob sich ein Individuum in der (medialen) Öffentlichkeit vor allem als passiver Rezipient sieht, oder ob es über die Möglichkeit und Erfahrung verfügt, selber gestalten und das mit anderen teilen zu können.

Web 2.0 ist kein Hype, sondern steht für eine tatsächliche Transformation: Shift happens.1819

„Ich guck das mal schnell in der Wikipedia nach…“
Die allgegenwärtige Vernetzung überwindet Raum und Zeit.

Die wenigsten der genannten Entwicklungen waren vor 10 Jahren vorhersagbar. Wir wissen nicht, was in den nächsten zehn Jahren passieren wird. Aber die Transformation wird nicht weniger und nicht langsamer werden.

Eine Quizfrage: In den USA gibt es schon länger Mobilfunk-Verträge mit Flatrates für SMS. Schätzen Sie bitte, wie viele Kurznachrichten ein Teenager pro Monat sendet und empfängt, wenn er nicht einzeln dafür bezahlen muss (Auflösung folgt).

In Deutschland sind SMS noch die „Cash-Cow“ der Mobilfunkanbieter. Ihr Branchenverband zählte 29 Milliarden verschickte SMS in 2009.20 Allerdings wird sich dies schnell ändern. Mit Verbreitung des iPhone wurde ein neues Zeitalter der Internet-Nutzung eingeleitet.21 Die Mehrzahl der Handys, die heute verkauft werden, verfügen über umfangreiche Internet-Funktionalitäten. Eine Flatrate für das mobile Internet kostet ca. 10 Euro monatlich. Nur eine von vielen Anwendungen sind Messenger-Programme, die die Übermittlung von Kurznachrichten ohne zusätzliche Kosten ermöglichen. Wenn zwei Menschen darüber verfügen, werden sie sich keine SMS mehr schicken. Was das für unser Kommunikationsverhalten bedeutet, lässt eine Studie erahnen, über die die New York Times berichtet: US-amerikanische Teenager, die nicht pro SMS bezahlen müssen, senden und empfangen pro Monat durchschnittlich 2.272 Textnachrichten. Das sind 75 pro Tag.22

Das Stichwort „Mobile Web“ wurde bisher vor allem von Marketing- und Verkaufsstrategen diskutiert. Aber die Allgegenwart des Internets wird viel mehr verändern als bloß die Art, wie wir uns unterwegs Einkaufstipps geben und vor Regen warnen lassen. Allein einfache Unterhaltungen, die zwei Menschen führen, die ein iPhone oder ein Nexus One dabei haben, ändern sich grundlegend. Konversationen, wie wir sie bisher kennen, sind von Unklarheiten gekennzeichnet. Man mutmaßt über das Wetter, tauscht Einschätzungen über das Fußballspiel vom Vortag aus, erzählt vom Urlaub eines gemeinsamen Bekannten, kritisiert die ungerechte Schulnote der Tochter oder die Wankelmütigkeit der gewählten Regierungspartei. Durch Digitalisierung und allgegenwärtige Vernetzung sind (vermeintlich) sicherer Einschätzungen zu vielen dieser Themen jetzt auf Knopfdruck verfügbar. Über das Wetter braucht man nicht spekulieren, wenn man via Internet das Regenradar abrufen kann. Die strittige Szene aus dem gestrigen Fußballspiel lassen sich bei YouTube abrufen und die Kommentare von hunderten von Fans gleich dazu. Der gemeinsame Bekannte twittert aus dem Urlaub sekundenaktuelle Fotos, die man gemeinsam bestaunen kann. Ob der Lehrer Fakten im Referat der Tochter berechtigt kritisiert hat oder nicht, lässt sich über einen Blick auf Wikipedia herausfinden. Und die Positionen einer politischen Partei lassen sich ganz einfach nachlesen.

„Ich guck das mal schnell nach“, wird ein gängiger Satz für diejenigen, die Wikipedia und Google in der Hosentasche mit sich tragen. Informationen, Einschätzungen und Erinnerungen kommen nicht mehr (nur) aus dem eigenen Kopf, sondern (potentiell auch)  gleichzeitig von anderen Menschen weltweit. „A hole in the wall“, nennt das der Medientheoretiker Torsten Meyer in Bezug auf die Situation des Klassenzimmers.23

Der Vergleich lässt sich auch für andere Situationen übertragen: In einen ehemals klar umgrenzten Raum weichen die Mauern auf und es dringt plötzlich die Welt von außen ein.

Umgekehrt besteht  ebenso ein Loch, durch das Momente aus dem Raum hinaus in die Öffentlichkeit dringen. Denn gleichzeitig wird die eigene aktuelle Lage in die Welt hinaus verschickt. Facebook und Twitter ermöglichen Statusmeldungen von „Habe gerade Käsenudeln zum Mittagessen mit der Kollegin“ oder „trinke schon mein achtes Bier“ über „lese den aktuellen Spiegel“ bis hin zu „vor meinem Fenster ist gerade ein Flugzeug auf dem Hudson gelandet“. Fotos aus dem Fußballstadion, der Ton vom Konzert oder ein Video von der Demo lassen sich live ins Netz senden.

Damit wird ein Stück Science-Fiction wahr: Wir überwinden Raum und Zeit. Und haben kaum eine Ahnung, was das für uns als Individuen wie als Gesellschaft bedeuten wird.

„Wozu soll das gut sein?“

Technologiekritik und Kulturpessimismus als Ausweichmanöver

Die geschilderten Entwicklungen müssen bei allen, die sie nicht im rasanten Tempo selber miterleben können oder wollen, Befremden hervorrufen. Fremdes – und alles wirklich Neue ist zuerst auch fremd – wehren Angehörige der Gattung Mensch gerne ab, in dem sie es als unsinnig, gefährlich oder degenerativ einordnen.

Die Schriftstellerin Kathrin Passig hat die gängigen Abwehrhaltungen als „Standardsituationen der Technologiekritik” beschrieben.24

Die Ablehnung gegenüber neuen Technologien, insbesondere Medien, vollzieht sich demnach in 9 Schritten, deren Argumentationen wie folgt lauten:

  1. Wozu soll man das gut sein? Das braucht kein Mensch!
  2. Das will doch niemand nutzen!
  3. Die Einzigen, die das Neue wollen, sind zweifelhafte oder privilegierte Minderheiten.
  4. Das wird sich nicht halten.
  5. Das wird keine Auswirkungen haben.
    a. Dadurch wird sich gar nichts ändern.

    b. Damit lässt sich kein Geld verdienen
    c. Die Beteiligten haben sich doch gar nichts mitzuteilen.
  6. Es ist nicht gut genug (und teuer).
  7. Schwächere können damit nicht umgehen.
  8. Das gehört sich nicht.
  9. Das verändert unsere Denk-/ Schreib-/Lesetechniken zum Schlechteren.

Passig zeigt, dass diese Art der Technologiekritik so alt ist wie Technologie selber. Die Pariser wehrten sich 1667 gegen die vom König eingeführte Straßenbeleuchtung. US-Präsident Hayes glaubte nicht an sinnvolle Nutzungsmöglichkeiten für das Telefon. Filmproduzent Warner wird zum Ende der Stummfilmzeit mit dem Satz zitiert: „Who the hell wants to hear actors talk?” Charlie Chaplin hielt das Kino 1916 noch für eine vorübergehende Modeerscheinung, genau wie Thomas Alva Edison 1922 das Radio. Und die schwedische Ministerin für Verkehr und Kommunikation hoffte 1996 noch: „Das Internet ist eine Mode, die vielleicht wieder vorbeigeht.“

Wenn ein neues Medium dann doch bleibt, führt es notwendigerweise zum Verfall der Kulturtechniken: „Man liest, nicht um sich mit Kenntnissen zu bereichern, sondern nur um zu sehen, man liest das Wahre und das Falsche prüfungslos durcheinander, und dieß lediglich mit Neugier ohne eigentliche Wißbegier. Man liest und gefällt sich in diesem behaglichen, geschäftigen Geistesmüßiggang, wie in einem träumenden Zustande. Die Zeitverschwendung, die dadurch herbeigeführt wird, ist doch nicht der einzige Nachtheil, welcher aus der Vielleserei entsteht. Es wird dadurch das Müßiggehen zur Gewohnheit und bewirkt, wie aller Müßiggang, eine Abspannung der eigenen Seelenkräfte“, zitiert Passig aus der 1844 erschienenen 2. Auflage des Universallexikons der Erziehungs- und Unterrichtslehre.

Passig folgert: „Die mühsamere Therapie heißt Verlernen. Denn niedere Statuszugewinnabsichten sind nicht der Hauptgrund für die Neophilieunterschiede zwischen den Generationen. Der erwachsene Mensch kennt einfach zu viele Lösungen für nicht mehr existierende Probleme. Dazu kommt ein Hang zum Übergeneralisieren auf der Basis eigener Erfahrungen. […] Wer darauf besteht, zeitlebens an der in jungen Jahren gebildeten Vorstellung von der Welt festzuhalten, entwickelt das geistige Äquivalent zu einer Drüberkämmer-Frisur: Was für einen selbst noch fast genau wie früher aussieht, sind für die Umstehenden drei über die Glatze gelegte Haare. So lange wir uns nicht wie im Film Men in Black blitzdingsen lassen können, müssen wir uns immer wieder der mühsamen Aufgabe des Verlernens stellen. Mit etwas Glück hat der Staat ein Einsehen und bietet in Zukunft Erwachsenenbildungsmaßnahmen an, in denen man hinderlich gewordenes Wissen – sagen wir: über Bibliotheken, Schreibmaschinen, Verlage oder das Fernsehen – ablegen kann.“

„So what?“
Die Aufgaben von (politischer) Bildung in der Transformationsgesellschaft

Wie verhält sich die politische Bildung zum Web 2.0 und – viel wichtiger – zu den skizzierten Transformationen? Die Antwort ist so vielfältig wie die politische Bildung selber. An dieser Stelle sollen vier Zugänge in Form von Thesen hervorgehoben werden:

  • Die politische Bildung muss vor Gefahren aufklären und Selbstbestimmung ermöglichen.
  • Die politische Bildung muss Potentiale nutzen, Partizipation und Transparenz ermöglichen.
  • Die politische Bildung muss sich als eine Plattform für den Austausch über die anstehenden Transformationen verstehen.
  • Die politische Bildung muss das Web 2.0 als Werkzeug nutzen.
  • Die beiden ersten Zugänge sind state-of-the-art. Der dritte und vierte nicht.

Mit Herausforderungen umgehen, Selbstbestimmung ermöglichen

Die Herausforderungen und Chancen, die das Internet für Jugendliche, Bürger und Konsumenten mit sich bringt, sind bekannt und werden in der politischen Bildung diskutiert, so auch kürzlich in dieser Publikation.25

An dieser Stelle seien deshalb nur einige Stichworte in willkürlicher Reihenfolge genannt: Datenschutz, informationelle Selbstbestimmung, kritische Medienkompetenz, geistiges Eigentum, Konsumentenkompetenz, Datensicherheit, Medienwandel, Produktions- und Publikationskompetenz, Jugendschutz und Extremismus aller Art.

Schaut man sich jenseits des Diskurses die tatsächlichen Aktivitäten in der politischen Bildung an, so findet man zahlreiche Angebote. Ob deren Umfang auch nur annähernd in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Themen steht, darf jedoch bezweifelt werden.

Bei der Durchsicht fällt auf, dass die Mehrzahl – natürlich nicht alle – der einschlägigen Angebote sich mit den „dunklen Seiten“ des Netzes beschäftigt. Überspitzt gesagt: Nazis, Pornos, Terroristen, Datendiebstahl und Raubkopien sind der (politischen) Bildung zurzeit wichtiger als die Potentiale, die das Internet in Sachen Transparenz, Meinungsvielfalt, Partizipation und bürgerschaftliches Engagement bietet. So unbestritten wichtig der aufklärerische und erzieherische Ansatz ist, so läuft politische Bildung doch Gefahr, als affirmativ, bewahrpädagogisch und kulturpessimistisch wahrgenommen zu werden, wenn sie sich zu sehr auf diese Aspekte konzentriert.

Politische Bildung als Plattform

Die neuen Fragen, die die skizzierten Transformationsprozesse hervorbringen, verlangen neue Antworten. Das Beispiel informationelle Selbstbestimmung: Es ist eine noch ungeklärte Frage, ob sich der Datenschutz nach traditionellen Denkmustern in digitale Welten migrieren lässt oder ob nicht ganz neue Wege im Umgang mit informationeller Selbstbestimmung gefunden werden müssen. Oder wie es Michael Seemann radikal ausdrückte: „Wir müssen Kindern nicht die Grenzen zwischen privat und öffentlich zeigen, denn sie werden sie definieren.“26

Die politische Bildung kann hier keine Lösungen anbieten, bestenfalls Zwischenlösungen. Denn auch sie kennt die neuen Antworten nicht. Aber die politische Bildung kann Plattform für gemeinsame Debatten darüber sein, wie wir mit dem Wandel umgehen und wie Antworten auf die neuen Fragen aussehen können. Eine solche Plattform setzt auf Austausch, Ergebnisoffenheit und aktive, gleichberechtigte Teilnehmer. Sie meint: Debatte, Dialog, Diskurs, Konversation. Sie ist dezentral und nicht technisch zu verstehen. Es braucht nicht eine zentrale Plattform, sondern viele kleine, bunte Plattformen. Im Internet, auf Konferenzen, in Seminarräumen und Publikationen. Die politische Bildung ist die Plattform für eine solche gesellschaftliche Konversation. (Wer, wenn nicht sie?)

Web 2.0 als Werkzeug in der politischen Bildung

Um ein kompetenter und glaubwürdiger Partner in dieser Konversation zu sein, muss die politische Bildung das Netz nutzen. Noch einmal 10 Jahre zurück: Claus Leggewie veröffentlicht 2001 vier Thesen zur Zukunftsfähigkeit der politischen Bildung.27

Seine Ausgangsthese: „Politische Bildung ist konzeptionell überaltert und institutionell versteinert.“ Seine Schlussfolgerung: Politische Bildung muss ins Netz. Das ist heute genau so aktuell wie vor 10 Jahren.

Die Benutzung von Diensten des Web 2.0 stellt für die politische Bildung keine Revolution dar. Politische Bildung wird sich dadurch nicht über Nacht verändern. Es gilt, kleine Schritte zu wagen, einen nach dem anderen. Jede Institution, jeder Pädagoge muss selber entscheiden, wie Dienste des Web 2.0 die eigene Arbeit bereichern können.28

Politische Bildung muss ins Netz. Die Anfänge werden bisweilen armselig aussehen. So wie bei jedem Anfänger.29 Aber was ist die Alternative?

Über den Autor

Jöran Muuß-Merholz ist Diplom-Pädagoge und mit seiner kleinen Agentur Jöran und Konsorten dort aktiv, wo sich Schnittmengen aus den Bereichen Bildung / Lernen, Medien / Kommunikation und Organisation / Management bilden.

Von 2004 bis 2006 leitete er das Büro Hamburg der Friedrich-Naumann-Stiftung, anschließend war er Gründer und Geschäftsführer des Archivs der Zukunft, einem Netzwerk von reformfreudigen Pädagogen und deren guter Gesellschaft. In der politischen Bildung arbeitet er seit 10 Jahren v.a. für das DGB Bildungswerk und die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Den ersten Zugang zur vernetzten Welt fand er Mitte der 90er Jahre über FidoNet. Noch 2007 glaubte er, Facebook würde einfach wieder verschwinden und bis 2009 war er der Überzeugung, E-Mail solle besser ein Schreibtisch-Medium bleiben.

  1. Am 12. Mai 2001 veröffentlicht Magnus Manske mit Polymerase-Kettenreaktion den Artikel Nr. 1 der deutschsprachigen Wikipedia. http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Meilensteine
  2. Google Corporate Information: Google Milestones. http://www.google.com/corporate/history.html#4
  3. Google ist die wertvollste Marke der Welt. Spiegel Online am 29.4.2009. http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,622011,00.html
  4. Vier Milliarden Suchanfragen. Google und der Rest. FAZ am 26.1.2010. http://www.faz.net/s/RubE2C6E0BCC2F04DD787CDC274993E94C1/Doc~E6F0187B1589740089C342D0DBDF9C334~ATpl~Ecommon~Scontent.html
  5. Ein Brocken bröckelt. Bertelsmann übernimmt Brockhaus. SZ online am 17.12.2008. http://www.sueddeutsche.de/kultur/198/451906/text/
  6. Wikipedia im Vergleich zu anderen Enzyklopädien. Zusammenfassung verschiedener Untersuchungen. http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia#Wikipedia_im_Vergleich_zu_anderen_Enzyklop.C3.A4dien
  7. YouTube: We’re Bigger Than You Thought. The New York Times am 9.10.2009. http://bits.blogs.nytimes.com/2009/10/09/youtube-were-bigger-than-you-thought/?hp
  8. YouTube Fact Sheet http://www.youtube.com/t/fact_sheet
  9. Facebook: Statistics (Stand Ende 2009) http://www.facebook.com/press/info.php?statistics
  10. Facebook Nutzerzahlen 2010. Facebookmarketing.de am 6.1.2010. http://facebookmarketing.de/zahlen_fakten/facebook-nutzerzahlen-2010
  11. http://www.bundeskanzlerin.de/Webs/BK/De/Mediathek/Start/start.html
  12. eigene Recherche der Top-10 auf http://www.deutscheblogcharts.de/archiv/2010-4.html via http://www.statbrain.com/
  13. Auflagen laut VDZ-Auflagendienst im IV. Quartal 2009: taz 57.735, FTD 100.638. http://www.pz-online.de/
  14. http://www.americandialect.org/index.php/amerdial/2009_word_of_the_year_is_tweet_word_of_the_decade_is_google/
  15. Ein wichtiger Wandel der Öffentlichkeit besteht darin, dass der breite Raum zwischen dem Privaten einerseits, das ich nur mit wenigen Menschen teile, und der unüberschaubaren Weltöffentlichkeit andererseits verschwindet. Die halbgroße, überschaubare Öffentlichkeit dazwischen entfällt zunehmend. Die Äußerung im Seminarraum, die Bewegung im Supermarkt oder das Besäufnis in der Kneipe sind alle nur einen Handyknopfdruck davon entfernt, für Milliarden von Menschen verfügbar zu werden.
  16. Zur Read-Only- vs. Read-Write-Culture vgl. Lawrence Lessig: Remix: Making Art and Commerce Thrive in the Hybrid Economy. Bloomsbury Publishing 2008 (Volltext unter http://www.archive.org/details/LawrenceLessigRemix).
    Oder in 19 Minuten: Larry Lessig on laws that choke creativity. Vortragsvideo vom März 2007. http://www.ted.com/talks/lang/eng/larry_lessig_says_the_law_is_strangling_creativity.html;
    zum ökonomischen Wandel vgl. Jeff Jarvis: What Would Google Do? Harpercollins 2009
  17. Skeptiker, die Twitter und Blogs auf solche Themen reduzieren wollen, mögen sich aber bitte einmal die häufigsten Themen dort anschauen: http://www.deutscheblogcharts.de/ und  http://blog.twitter.com/2009/12/top-twitter-trends-of-2009.html
  18. „Did You Know? Shift Happens” war das Präsentationsvideo überschrieben, das die US-amerikanischen Pädagogen Karl Fisch und Scott McLeod 2007 veröffentlichten. In sechs Minuten veranschaulichten einfache Statistiken, welchen Umbruch Globalisierung und Informatisierung für die Gesellschaft als Ganzes und für die Bildung im Besonderen bedeuten. Vgl.http://shifthappens.wikispaces.com/
  19. Auch das „Web 1.0“ hat diese Möglichkeiten prinzipiell geboten. So war es erklärtes Ziel von Tim Berners-Lee, Erfinder des WWW, Menschen miteinander zu vernetzen und jedem Nutzer auch das Produzieren zu ermöglichen. Allerdings geriet dies mit der zunehmenden Kommerzialisierung ab dem Jahr 1999 zunehmend in den Hintergrund. Erst mit einfacher Software und einer kritischen Masse an Nutzern wurde das Internet wirklich zur Plattform.
  20. http://www.bitkom.org/de/presse/62013_58933.aspx
  21. Zur Veranschaulichung der Möglichkeiten eines Computers, für den die Bezeichnung „Handy“ eine Verniedlichung ist: 1965 stand ein für es damalige Verhältnisse sehr moderner, sehr großer Rechner am MIT in Boston. Im Vergleich zu diesem Rechner ist der Prozessor in einem heutigen Handy 1.000fach schneller, 100.000fach kleiner und 1.000.000fach billiger. Dieser Prozessor könnte in 25 Jahren in eine Blutzelle passen. (Interview mit Ray Kurzweil: http://news.cnet.com/8301-11386_3-10102273-76.html)
  22. http://www.nytimes.com/2009/05/26/health/26teen.html?_r=2
  23. Hole in the Wall – Das Internet als interaktive Lernmedium. Vortrag auf der Tagung „Ende der Kreidezeit? – ne(x)t generation learning“, Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg, 18.4.2009
  24. Merkur Nr. 797, Dezember 2009 http://www.online-merkur.de/seiten/lp200912adz.htm
  25. vgl. Vinzenz Bosse: Die Sache mit dem Web 2.0. In: Praxis Politische Bildung 4/2009
  26. leere Fußnote
  27. Claus Leggewie: Politische Bildung – ein auslaufendes Projekt der 50-60-Jährigen? Lassen sich neue, attraktive Konzepte entwickeln? Beitrag im Rahmen der Virtuellen Konferenz „Internet und politische Bildung“, 12.12.2001. http://www.edupolis.de/texte/text_leggewie.html
  28. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass es anstelle der Revolution an mancher Stelle bemerkenswerte Evolutionen geben wird. Häufig erweist sich der Einsatz  neuer Medien in Bildungszusammenhängen als Katalysatoren für einen inneren Wandel. Das Internet fungiert dabei quasi als Trojanisches Pferd, in dessen Bauch Keime einer neuen Lernkultur in die Bildungsinstitutionen getragen werden, die auf Selbstbestimmung und Austausch basieren anstatt auf Vermittlung und Belehrung.
  29. Damit wäre die politische Bildung in guter Gesellschaft. Der Sender DRadio Wissen startet sein Programm im Januar 2010 mit dem Anspruch, nicht nur zu senden, sondern auch via Website und Twitter Konversation zu ermöglichen. Vier Tage nach Sendestart musste die Redaktion im Blog zugeben, dass man von der Resonanz in doppelter Hinsicht überwältigt wurde. „[Wir müssen erkennen, dass wir damit) noch nicht so recht umgehen können“ und „dass wir im Umgang mit den vielen Rückmeldungen noch jede Menge zu lernen haben.“
    Die Kommentare auf den Beitrag waren anerkennend und ermutigend.
    DRadio Wissen Blog am 20.1.2010. http://blog.dradiowissen.de/ich-bin-uberwaeltigt/

13 Gedanken zu „Shift happens – Was Web 2.0 für Gesellschaft und Bildung bedeutet“

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  2. Schöne Samnmlung an empirischem Material zur Kulturrevolution. (Im Geschichts- und Politiklehrersound: Super „Quellensteinbruch“ zum Weiterverarbeiten!)
    Was mich wundert ist der Rückgriff auf Fußnoten. Ging denn Dein Hyperlinkbutton nicht? – Aber Spaß beiseite: Es sind ja nicht bloß Links in den Fußnoten vergeben worden. Es muss doch noch eine andere Möglichkeit geben, um digital „sticky notes“ am eigenen Text in der Hypertextlogik des Blogs unterzubringen. Eigene ebenso wie welche von Lesern. So wie in diigo. Vllt mal eine Anregung an WordPress?

  3. Danke für die Rückmeldung. Die Geschichte mit den Fußnoten hat mich auch länger beschäftigt. Der Text ist ja für Print geschrieben. Beim Schreiben habe ich gemerkt, dass ich andauernd Links setzen will, was im traditionellen Stil dann eben heißt: Fußnoten.
    (Für den Druck hat die Redaktion dann übrigens 2/3 meiner Fußnoten rausgestrichen.)

  4. Erschlagend, im positiven Sinne.
    Die Fußnoten finde ich gar nicht so schlecht, macht den Text klarer und flüssiger zu lesen. Nur mit Links hätten die notwendigen Erläuterungen wahrscheinlich den Artikel aufgeblasen.

  5. oje, ja, das kenne ich auch; printkram ist inzwischen so unpraktisch! Meine Fußnoten wurden alle gestrichen und der Aufsatz kam 2 Jahre nachdem er als Vortrag ins Netz gestellt worden war in printband heraus. Wer will denn das noch lesen????

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