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Drei Irrtümer zur Medienkompetenz

Jöran hat für das Heft I-2012 „Freiheit im Netz“ des Programm-Magazins der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit diesen Beitrag beigesteuert:

Drei Irrtümer zur Medienkompetenz

„Medienkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation!“, das finden Politiker und Pädagogen, Eltern und Unternehmer, Feuilletonisten und Stiftungen gleichermaßen. So viel Konsens ist selten. Und doch: Der Satz ist Unsinn, und die Maßnahmen, die darauf fußen, verfehlen das Ziel nicht nur – sie erkennen es nicht einmal. Sobald es konkret werden muss, wie z.B. bei sogenannten „Medien-Führerscheinen“ oder „Internet-Seepferdchen“, versagen die meisten Versuche der Medienkompetenzvermittlung. Die Debatte fußt auf drei Irrtümern:

1. Der Medienbegriff stammt noch aus der prä-digitalen Zeit. Medien werden als ein Sonderfall von Welt gesehen. Hier ist die reale Welt („das echte Leben“), und darin kommen gelegentlich (quasi als Fremdkörper) die Medien vor. Aber Medien sind in der digitalen Gesellschaft immer überall allgegenwärtig. Medien stecken immer überall drin und wir stecken immer in den Medien drin. Es gibt keine „Medienkompetenz“ ohne den Kontext von „Welt“, in denen die Medien eine Rolle spielen.

2. Der Kompetenzbegriff meint meistens etwas anderes, nämlich: Qualifikation. Eine Qualifikation ist auf aktuelle Probleme zugeschnitten und bietet die dafür angemessene Lösung an. Eine tatsächliche Kompetenz ist darüber hinaus „vorsorgend“. Kompetenzen brauche ich, um in der Zukunft Probleme zu lösen, die jetzt noch gar nicht absehbar sind. Führerscheine und damit verbundene Qualifikationen sind geeignet für Sachverhalte, die standardisiert und permanent sind, wie z.B. Autofahren oder Schwimmen. Aber in Sachen Medien verändert sich unsere Welt rasant und niemand weiß auch nur für die nahe Zukunft, wie die mediale Welt aussehen wird.

3. Die Idee, Medienkompetenz vermitteln zu können, wird vom traditionellen pädagogischen Habitus getragen, nach dem der Pädagoge aus der gesellschaftlichen Erfahrung weiß, was gut für den Zögling ist. Da wir es aber mit einem tatsächlichen kulturellen Umbruch (durch mediale Transformation) zu tun haben, kennen wir viele Antworten heute noch nicht. Die Gesellschaft im Allgemeinen und die Pädagogik im Besonderen müssen dem Rechnung tragen, indem sie sich nicht von Bewahrpädagogik, Kulturverfall-Gerede oder Besserwisserei leiten lassen, sondern Offenheit, grundsätzliche Werte und Diskussion zusammenbringen, um gemeinsam über den Umgang mit dem Wandel Verständigung zu suchen.
Was dabei hilft, sind Kompetenzen und Werte wie Mündigkeit, kritische Prüfung, Partizipation, Kreativität, Dialogfähigkeit, Aufklärung, Respekt, Transparenz und gute Manieren. „Bildung“ wäre ein guter Oberbegriff für eine „Schlüsselqualifikation“ im 21. Jahrhundert.


Das Magazin ist als pdf im Volltext verfügbar und enthält weitere empfehlenswerte Beiträge zum Schwerpunkt „Freiheit im Netz“, z.B. von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Ronald Meinardus, Peter Schaar, Jimmy Schulz und anderen.

7 Gedanken zu „Drei Irrtümer zur Medienkompetenz“

  1. „Medienkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation!“- Ich habe viele Jahre Pädagogik studiert (TU Dresden) und weder dort noch in der Praxis jemanden getroffen, der diesen Satz und die lt. ihrer Ansage damit verbundenen Irrtümer (so es denn welche sind) kolportierte.

    Ist der Irrtum nicht vielmehr, zu glauben, dass der Satz „Medienkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation!“ von weiten Teilen der Politiker, Pädagogen, Eltern, Unternehmern, Feuilletonisten und Stiftungen unreflektiert geschluckt und verbreitet wird?

  2. Das lässt sich kurz beantworten: Man google einfach „Medienkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation“.
    Unter den 2.870 Ergebnissen findet sich voran die Bertelsmann-Stiftung, das Hessische Kultusministerium, die FH Köln, die SPD Hamburg, die Grünen BaWü, DATEV, Schulen und viele, viele mehr. Ich würde sagen: „Ja, der Satz wird größtenteils unreflektiert geschluckt und verbreitet.“
    PS: Sogar die Website der Professur für Medienpädagogik an der TU Dresden wartet mit diesem Satz auf. -> http://mp.ew.tu-dresden.de/medpaed/wortspiel_texte/medienkompetenz.html (Allerdings macht sich Vollbrecht den Satz nicht zu eigen, sondern argumentiert eher dagegen, wenn das auch anfangs des Textes nicht unbedingt so aussieht.)

  3. Betrachtet man bloß Massenmedien als „Medien“ (im Sinne des in Punkt 1 angesprochenen Medienbegriffs), muss man tatsächlich davon abrücken. Da aber der Mensch nicht erst seit Smartphones einen Großteil seiner Zeit mit Medien (aller Art) konfrontiert ist, Massen- und erst recht Individualmedien lange davor schon „sozial“ waren (im sozialen Kontext gemacht und genutzt wurden), halte ich den Begriff „Medien“ für unverändert anwendbar.

    Neu ist die Durchdringung unmittelbar gestalt- und nutzbarer (Online-) Medien. Aktuelle Debatten rund um Datenschutz und Privatsphäre zeigen (= „aktuelle Probleme“?), dass es hierfür sehrwohl der Vermittlung spezieller wie auch allgemeiner Kompetenzen braucht: Ich muss mit Medien allgemein umzugehen wissen, um in der Gesellschaft mündig agieren zu können (zB. Quellenbewertung), und ich muss jeweils medienspezifische Besonderheiten kennen (technische Hintergründe).

    In dem Sinn halte ich den Kompetenzbegriff überhaupt nicht für obsolet (oder gar gleichbedeutend mit „Qualifikation“) und würde einseitige Kausalitäten zwischen Mündigkeit und Mediennutzung generell infrage stellen. Fehlen die Kompetenzen für den mündigen Umgang mit Medien, kann ich nicht mündig agieren in einer Gesellschaft, die sich heute mehr denn je auf die mediale Vermittlung (der „Welt“) verlässt.

    Bildung braucht Medienkompetenz, Medienkompetenz braucht Bildung.

  4. Durch Googeln kommt eben nicht raus, in welchen Kontext dieser Satz vom Betreiber der entsprechenden Webseite gestellt wurde. Dazu muss man sich tatsächlich mit den Statements beschäftigen. Bsp. Vollbrecht. Danke dafür. In seinen Vorlesung geht seine Kritik übrigens noch weiter, da bleibt nicht mehr viel vom Kompetenzbegriff übrig.

    Wenn man den Diskurs um “Medienkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation” genauer betrachtet, vermute ich, dass es hauptsächlich die Bertelsmänner sind, die in dieser Richtung den Ton angeben. Und deren Interesse dahinter ist ja relativ eindeutig.

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  7. Das Problem mit dem Begriff der Medien ist, dass diese sich fundamental gewandelt haben und der Begriff lediglich noch eine Metaebene darstellt. Wenn wir die alten Medien ansehen, sind diese in der Regel journalistisch gefertigt worden unter unterschiedlichen Qualitäts- und Spezialisierungskriterien. Hier galt es im Aufbau von Kompetenz, möglichst vielseitig zu konsumieren und um die Vielseitigkeit zu wissen.

    Heute kann jeder Sender werden und es wird viel wichtiger, nicht nur kompetent, wie Du richtig schreibst, abzuwägen und selber nachzurecherchieren, sondern eben auch kompetent als Akteur im Sendebetriwb zu agieren. Das ist in Zeit der unternehmensinternen Social Webs unerlässlich. Stichwort wäre hier: Kommunikationsqualifikarionen, Self-branding, etc. Deine Punkte gehen ausschließlich vom Konsumenten aus, was nicht mehr zwangsläufig der alleinige Punkt ist.

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